Archive for the ‘Videogames’ Category

Second Life: Ein Drittel der Belegschaft auf der Stasse

Monday, June 14th, 2010

Die Macher der virtuellen Welt «Second Life» haben einen Drittel ihrer Mitarbeiter gefeuert, schreibt die französische Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP). Die Second Life-Entwicklerin Linden Labs legte lange ein Wachstum an den Tag, von dem andere Firmen nur träumten. Dies war u.a. auch dank einem unglaublichen Medienhype möglich.

AFP schreibt weiter:

Der Stellenabbau sei Teil eines “strategischen Umbaus”, erklärte die Firma. Demnach sollen die Produkt- und die Entwicklungsabteilung in Nordamerika zusammengelegt werden. Wie viele Mitarbeiter betroffen sind, teilte Linden Labs nicht mit, das Unternehmen beschäftigt aber angeblich rund 300 Menschen.

«Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es einmal war»

Monday, May 24th, 2010

Nicole Soland hat im «P.S.» mit Luise F. Pusch ein längeres Interview geführt. Die feministische Sprachwissenschafterin Pusch hat grundlegende Arbeiten zur deutschen Linguistik geleistet.

Ihre feministische Sprachkritik war ziemlich erfolgreich. So bereiteten ihre Arbeiten unter anderem den Weg für geschlechtergetrennten Sprachgebrauch in  Verwaltungen vor.

Im Interview sagt sie: «Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es einmal war. Beschämt sitzt es in der Ecke und beweint seinen verlorenen Anspruch auf Alleinvertretung der Geschlechter.»

Niklaus Meinenberg kritisch betrachtet

Unter anderem beleuchtete sie auch Niklaus Meienbergs Texte kritisch. In ihrer Analyse «Das Schmettern des Schweizer Gockels» attestierte sie ihm «unverwüstliche Frauenfeindlichkeit» – und löste damit eine Kontroverse bei der Linken aus.

Der Titel ihrer Kritik ist eine Anspielung auf Meienbergs Frankreich-Reportagen «Das Schmettern des gallischen Hahns», erschienen 1976 im Luchterhand Verlag.

Actionfilme und Computergames Schuld an Machos?

Das Interview im «P.S.» gibts leider nur auf Papier. Dabei wäre es interessant, ihre heutige These im Web kritisch zu beleuchten. Im Interview meint sie nämlich auf die Frage von Nicole Soland:

Solidarität und Verständigung im Gespräch könnten auch Männer lernen, haben Sie einmal geschrieben: Haben es die Männer gelernt?

Überwiegend haben sie genau das Gegenteil gelernt – Actionfilme, Gewalt-Computerspiele und Pornoseiten im Internet predigen eine widerwärtige Machokultur, der mann sich schwer entziehen kann.

Das tönt ziemlich monokausal und riecht ein wenig nach altbekannten Kritikmustern von Intellektuellen, die mit Populärkultur wenig anzufangen wissen.

Zweites Leben in der grossen Blase

Wednesday, April 11th, 2007

Die virtuelle Computerwelt Second Life gilt als Goldgrube der neuen Internetdienste. Bei genauem Hinsehen fragt man sich nur: Warum?

Von Christian Bütikofer

Die virtuelle Computerwelt Second Life ist ein Dauerthema geworden. Wenn ein unbekannter Musiker dort eine virtuelle Präsenz eröffnet oder ein Werbeniemand in Second Life Seminare für Führungskräfte anbietet, haben sie die Aufmerksamkeit der Zeitungen auf sicher. Journalisten werden in die virtuelle Welt geschickt, um Tagebuch zu führen; ein Blatt behauptete, dass Second Life schon bald ein ernst zu nehmendes Promo-Werkzeug der Musikindustrie sein werde.

Ein anderes Blatt tadelt Schweizer Politiker, weil sie nicht in Second Life vertreten sind. An der Computermesse Cebit verkündete die Hamburger Handelskammer, sie werde eine Präsenz in Second Life eröffnen und unterstreiche damit ihre «Vorreiterrolle bei der Erschliessung neuer Vertriebs- und Kommunikationswege im Internet.» Second Lifeals neues Internet-Eldorado, wo alle dabei sein müssen, PR-Floskeln inklusive?

Ein Rollenspiel wie jedes andere

Jeder Bewohner durchwandert die virtuelle Welt von Second Life mit einer Figur, die den Spieler repräsentiert – hier unterscheidet sich Second Life nicht gross von jedem normalen Internet-Rollenspiel (auch Massive Multiplayer Online Role-Playing Game genannt). Im Gegensatz zu normalen Rollenspielen gibts keine Geschichte, die man nachlebt -Second Life ist mehr wie ein 3D-Chatraum, wo man mit anderen Besuchern Kontakte knüpft.

Der Hauptunterschied zu normalen Games aber ist das 3-D-Programm, dessen Bedienung man sich erst aneignen muss, damit man in Second Life Dinge aller Art erstellen und verkaufen kann – vom Haus bis zum Kleid ist alles möglich. Entscheidet man sich dazu, ein Produkt anderen Spielern zu verkaufen, zahlt man den Machern von Second Life eine monatliche Miete von knapp zehn Dollar. Nur wer ein Stück Land von Second Life besitzt, kann seine Produkte verkaufen – für virtuelles Geld, so genannte Linden-Dollars, die wiederum in echte amerikanische Dollars getauscht werden können.

Einige wenige kassieren fast alles

Diesen Februar zirkulierten in Second Life 5 Millionen Euro. Laut der Zeitung «Libération» wiesen nur gerade 300 Personen einen Kontoauszug auf, der über 1200 Franken betrug – das ist enorm wenig, wenn man bedenkt, dass laut der Firma Linden Lab (die Firma hinter Second Life) offiziell 300 000 Personen regelmässig an der virtuellen Welt teilnehmen.

Wie im richtigen Leben, so sind offenbar auch hier die wirtschaftlichen Verhältnisse ungleich: Unzählige Proletarier schlagen sich mit schlecht bezahlten Jobs durchs Second Life, während einige wenige richtig investieren können – die zweite Welt als Abbild der ersten?

Wenn man sich weitere Zahlen vor Augen hält, begreift man noch weniger, warum Second Life als Investment-Plattform mit unendlich vielen potenziellen Kunden angesehen wird und Firmen wie Daimler, Mazda, Coca-Cola oder IBM dort ihre Zelte aufschlagen.

Einmal drin – und dann nie wieder

Von den über 5 Millionen registrierten Nutzern in Second Life kommt nur ein Bruchteil regelmässig wieder – innerhalb der letzten 60 Tage verzeichnete Linden Lab 1,6 Millionen Log-Ins. Ein Log-In bedeutet, dass man sich einmal inSecond Life einklinkte. Wie lange man aber in der virtuellen Welt lebte und ob man nach den ersten Eindrücken je wieder zurückkehrte, darüber sagt die Zahl nichts aus. Die immer wieder kolportierten Millionzahlen dürften tatsächlich viel kleiner sein.

Die Anzahl Second-Life-Bewohner, die einen kostenpflichtigen Zugang besitzen, also eine Monatsgebühr von knapp zehn Dollar entrichten, lag laut Linden Lab Ende 2006 bei weniger als 50 000 Personen. Vergleicht man Second Lifemit dem zur Zeit erfolgreichsten Online-Rollenspiel World of Warcraft der Firma Blizzard, wird noch deutlicher, in welcher Liga Second Life spielt: World of Warcraft spielen zurzeit mehr als acht Millionen Personen, die für dieses Game monatlich zahlen.

Warum trotzdem die herrschende Euphorie gegenüber Second Life? Mario Sixtus vom deutschen «Handelsblatt» erklärt sich die Beliebtheit von Second Life in Wirtschaft und Werbeindustrie in einer Blog-Polemik wie folgt: «Das Auftauchen von Second Life muss zu einem kollektiven Aufatmen in den Marketing-Abteilungen dieses Planeten geführt haben. Endlich kann man auch im Internet so weitermachen wie in der guten alten Zeit vor dem Internet. Man kann Plakate aufstellen, Filialen eröffnen […] und sogar Verkaufspartys veranstalten.» Er wirft der alten Wirtschaft vor, sie sei noch immer ideenlos, wie man im Web geschäfte, und stürze sich darauf auf Second Life, weil es den alten Konzepten möglichst nahe komme, indem es die richtige Welt simuliere.

Woher die Zeit nehmen?

Ein anderer Grund, warum Second Life zu einem Dauerhype wurde, ist wohl auch die Tatsache, dass die Personen um Linden Lab beträchtliche Investitionsgelder im Millionenbereich von Internetpionieren wie den Gründern von Amazon und Ebay erhielten und vor markigen Werbesprüchen nicht Halt machen. So behauptete Philip Rosedale, Gründer von Linden Lab, gegenüber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», dass bald die Hälfte aller Menschen eine zweite Identität im Internet besitzen werde, und weiter: «Viele Dinge gehen bei uns einfach besser als im richtigen Leben.» Was sicher nicht besser geht, ist die Zeiteinteilung. Es fragt sich, wie man in Second Life Wahlkämpfen, der Fasnacht oder Konzerten folgen soll, wenn man schon im echten Leben den täglichen Informationsfluss kaum bewältigen kann.

www.secondlife.com

www.sixtus.net/entry/856_0_1_0_C/

www.sixtus.net/entry/865_0_1_0_C/

© Tages-Anzeiger; 11.04.2007

Wir bauen uns eine schöne neue Welt

Monday, June 19th, 2006

Im Internetspiel «Second Life» vermischen sich reales und virtuelles Leben zusehends. In der Kunstwelt erfinden ihre Bewohner Dinge, die sie im realen Leben verkaufen.

Von Christian Bütikofer

«In meiner ganzen Karriere schwamm ich gegen den Strom», sagt Philip Rosedal. Darum beunruhigten ihn die Warnungen etlicher Finanzanalysten nicht, als sie ihm dringend von seinem Projekt abrieten: das Erstellen und Vermarkten einer virtuellen Spielwelt, deren Bewohner selber für Inhalt sorgen würden. Rosedal wollte also mit einem Spiel Geld verdienen, das erst durch die Eigeninitiative der Spieler zum Spiel wird – verkehrte Welt im Gamebusiness.

Doch Philip Rosedal fand potente Investoren – darunter auch Ebay-Gründer Pierre Omidyar und Amazon-Erfinder Jeff Bezos -, und 2003 setzte der ehemalige Cheftechnologe von Real Networks mit seiner neuen Firma Linden Research den Traum in die Realität um; das Multiplayer-Onlinerollenspiel «Second Life» wurde für alle Interessierten zugänglich. Waren es zu Beginn einige wenige Tausend Spieler, so zählt «Second Life» heute bereits über 240 000 Bewohner.

Multiplayerspiele, in denen Leute aus der ganzen Welt miteinander virtuelle Abenteuer bestehen, liegen im Trend und sind ein Millionengeschäft – monatlich buhlen neue Games dieses Genres um die Gunst zahlender Kunden. «Second Life» unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von vielen anderen: Normale Multiplayerspiele sind zielorientiert (erobere diese Burg, besiege jenen Bösewicht), «Second Life» kennt keine Mission. Normale Multiplayerspiele bedienen sich oft fantastischer Elemente – «Second Life» bildet die Realität ab. Normale Multiplayerspiele sind meist kriegerische Angelegenheiten, «Second Life»-Bewohner leben friedlich zusammen. Normale Multiplayerspiele sind in sich geschlossene Systeme, «Second Life» ist offen.

Die Website www.mmogchart.com untersucht viele Rollenspiele auf ihre Anzahl Teilnehmer. Die dort ersichtlichen statistischen Daten zu «Second Life» legen nahe, dass gerade das offene und ziel-lose System dazu führt, dass «Second Life»-Bewohner dem Game viel länger treu bleiben als anderen Rollenspielen. Denn bei traditionellen Multiplayergames verabschieden sich viele Spieler, sobald sie alle Ziele erreicht haben, weil danach keine neuen Herausforderungen mehr bestehen.

Jeder Spieler ein (Spiel-)Designer

«Second Life» animiert zur Kreativität. Jeder Bewohner durchwandert die virtuelle Welt mit einem «Avatar»: einer Figur, die den Spieler repräsentiert. Zudem erhält er ein 3-D-Programm zum Erstellen von virtuellen Dingen aller Art. Mit diesem Konstruktionswerkzeug erstellt ein Spieler von der Hose bis zum Auto alles; ohne die Kreativität der «Second Life»-Gamer funktioniert das Spiel nicht.

Entscheidet man sich dazu, ein Produkt anderen Spielern zu verkaufen, zahlt man den Machern von «Second Life» eine monatliche Miete von 10 Dollar. Denn nur wer ein Stück Land von «Second Life» besitzt, kann seine Produkte an den Mann bringen. Viele «Second Life»-Spieler schauen sich die Produkte anderer an, und jedes virtuelle Erzeugnis ist auch zu kaufen – für virtuelles Geld, so genannte Linden-Dollars. Die Linden-Dollars kann man in echte amerikanische Dollars tauschen. Pro Tag wechseln in «Second Life» Waren im Wert von 230 000 Dollar die Hand.

Jedes virtuell erstellte Produkt in «Second Life» gehört seinem Erfinder – er besitzt das Copyright dazu, nicht die Betreiber von «Second Life». Man kann also ein virtuell erfundenes Produkt nicht nur im Game verkaufen, sondern auch im richtigen Leben. Die Spieler finden sich so unverhofft im echten Designer- und Produktionsprozess der realen Welt wieder.
So erfand der Australier Nathan Keir in «Second Life» das Spiel «Tringo» – eine Mischung aus Tetris und Bingo. Mit der Zeit verdiente er über 5000 Dollar, indem er anderen «Second Life»-Bewohnern virtuelle Kopien verkaufte. Jetzt hat er die Lizenz für Tringo an die kalifornische Firma Crave veräussert. Das Spiel gibts nun für Nintendos Gameboy zu kaufen (www.cravegames.com).

Klage wegen virtuellem Land

Das dem Spiel «Second Life» zu Grunde liegende reale Wirtschaftsmodell ist nicht nur ein Segen, es bescherte Linden-Research-Boss Philip Rosedal in der Vergangenheit auch schon Kopfzerbrechen: Inflation und Gebührenänderungen führten zu einer Revolte. Unzufriedene warfen «Linden-Tee» in einen virtuellen Hafen von Boston – analog zum historischen Ereignis von 1773, das den Anfang der Unabhängigkeit der USA von England markierte. Damals drangen Bostoner Bürger in den Hafen ein und warfen drei Ladungen Tee von den Schiffen ins Hafenbecken, um gegen neue Steuergebühren zu protestieren.

Und seit diesem Mai wartet in Pennsylvania auch die erste Klage eines «Second Life»-Bewohners gegen die Firma Linden Research auf Behandlung. Marc Bragg investierte Tausende Dollars in «Second Life»-Land, das er mit einem Kniff zu marktunüblichen Preisen erstand. Danach wollte er die Parzellen Gewinn bringend wiederverkaufen, was Linden Research verhinderte. Bragg behauptete, dass seine Bodenspekulationen nicht illegal gewesen seien und verklagte daraufhin Linden Research.

Prostitution und Politplakate

Auch Architekt Brian Ulaszewski hat das Spiel entdeckt. Er kandidierte für einen Sitz im Parlament von Long Beach, Kalifornien. Der passionierte «Second Life»-Bewohner übertrug seine Politkampagne flugs ins Game und dürfte damit die erste Person sein, welche die virtuelle Welt für diesen Zweck einsetzte.

Neue Wege begeht auch die American Cancer Society. Sie führt jährlich Sponsorenläufe durch, um die Bekämpfung von Krebs finanziell zu unterstützen. Im August 2005 liefen nicht nur viele Tausend Amerikaner in der realen Welt für dieses Projekt – etliche schickten ihre Spielfiguren auch in «Second Life» auf die Piste. Die virtuelle Aktion generierte echte Dollarspenden.

Wo Menschen zusammenkommen, ist auch das Thema Sex nicht weit; es war nur eine Frage der Zeit, bis in «Second Life» das Rotlichtmilieu Fuss fasste. In «Amster Dame» bieten Avatare ihre einschlägigen Dienste an. Und auf speziellen Webseiten bewerten die «Second Life»-Bewohner ihre virtuellen Begegnungen in dieser Meile.

In «Second Life» passiert etwas, was der Sciencefictionautor Neal Stephenson 1992 mit «Metaverse» beschrieb. In seinem Buch «Snow Crash» benutzte er den Begriff Metaverse für ein Paralleluniversum, das nur online existiert. Dessen Bewohner wandern als Avatare umher und interagieren virtuell miteinander. Was im Onlineuniversum passiert, hat Auswirkungen auf die echte Welt und umgekehrt. «Second Life»-Erfinder Philip Rosedal ist sich dessen voll bewusst. Er meint: «Wir kreieren kein Spiel, wir erschaffen ein neues Land. Es ist ein bisschen wie im Film Matrix.»

© Tages-Anzeiger; 19.06.2006