Dass etwas nicht stimmte, das ahnten sie schon, die Nachbarn von Gérald Gallant (59). Seine diversen Überwachungskameras am Haus erstaunten. Und dass er immer kurz angebunden war, trug auch nicht gerade zur Nachbarschaftsidylle bei.
Dass er aber als Auftragskiller jahrelang im so genannten Biker-Krieg Kanadas zwischen 1996 und 2002 reihenweise Hells Angels um die Ecke brachte, das dachte sich niemand im verschlafenen Dorf Donnacona in Québec.
Mann für alle Fälle der «Rock Machine»

Gérald Gallant vor Gericht. Quelle: Radio-Canada
Gérald Gallant war die Allzweckwaffe der Biker-Gang «Rock Machine», einem Zusammenschluss diverser Gestalten der Unterwelt Québecs, die sich mit den «Hells Angels» einen jahrelangen blutigen Krieg um die Vorherrschaft des Drogenmarkts lieferten.
Je nach Zählart wurden während diesem Konflikt um die 160 Personen ermordet, durch Blei und Bombenanschläge.
Manchmal trafs auch die Falschen
Gallant erklärte sich 2009 schuldig, zwischen 1979 und 2003 nicht weniger als 28 Morde und 13 fehlgeschlagene Mordversuche begangen zu haben. Dabei irrte er sich viermal in der Zielperson: Von den vier «Versehen» endete eines tödlich, dreimal wurden die Opfer schwer verwundet.
American Express brachte Stein ins Rollen
Wäre Gallant für einen weiteren «Auftrag» 2006 nicht übers Tessin in die Schweiz eingereist, wäre der unscheinbare Familienvater wohl noch immer auf freiem Fuss.
Mit seinem Reisekumpanen Daniel Forté nutzte er einen gefälschten Pass und gefälschte Kreditkarten. Was dazu führte, dass die geprellte American Express die Behörden einschaltete.
Beide reisten weiter in die Deutschschweiz und nach Genf. Dort wurden sie am 6. Mai 2006 im Genfer Hotel Excelsior verhaftet. Schnell finden die Ermittler heraus: Forté ist einer der grössten Kreditkartenbetrüger Kanadas. 2002 richtete er mit seinen gefälschten Karten einen Schaden zwischen 15 Millionen und 20 Millionen Dollar an.
Der Killer wird zum Informanten
Während Gallant in Genf im Knast sitzt, gesteht er dem Untersuchungsrichter die Auftragsmorde. Der schaltet die «Sûrété de Québec» ein, die Bundespolizei der Provinz Québec.
Die Cops aus Montréal schliessen mit Gérald Gallant einen Deal: Er wird Informant, legt alles offen und kann dafür mit einem milderen Urteil rechnen.
Auch die Geliebte soll mitgemacht haben
Die Informationen Gallants führen zu weiteren elf Verhaftungen – unter anderem auch seiner Ex-Geliebten Jacqueline Benoît (48), die in Frankreich aufgegriffen wurde. Sie soll Gallant bei zwei Morden von Hells Angels-Zugehörigen geholfen haben.

Louis «Melou» Roy. Quelle: Le Quotidien
Weiter sei sie an Gallants Mordversuch des damaligen Chefs des Hells Angels Charters «Trois-Rivières» Louis «Melou» Roy beteiligt gewesen.
Roy überlebte schwer verletzt, «verschwand» dann aber wenig später – seine Leiche wurde nie gefunden. Die Polizei Québecs vermutet, Roy sei von seinen eigenen Leuten umgebracht worden, weil er Kokain billiger als zum abgemachten Preis auf die Strasse brachte.
Journalisten-Attentat rettete Hells Angels-Boss – vorerst

Maurice «Mom» Boucher. Quelle: The Montreal Gazette
Gérald Gallant hatte auch den Auftrag, den damaligen Chef des «Nomads»-Charters der Hells Angels Kanada, Maurice «Mom» Boucher umzulegen. Boucher war der eigentliche Drahtzieher hinter dem so genannten Biker-Krieg. Weil er für den Auftragsmord zweier Gefängniswärter verantwortlich ist, sitzt er heute lebenslang hinter Gitter.
Zur Zeit, als ihm Gallant auflauerte, hatte Boucher jedoch Glück, denn am 13. September 2000 wäre auch er reif gewesen. Doch als Gérald Gallant loslegen wollte, bemerkte er gerade noch rechtzeitig, dass in jenem Quartier Montréals eine ungewöhnlich starke Polizeipräsenz herrschte.

Gerichtsreporter Michel Auger, «Le Journal de Montréal»
Wenig später begriff Gallant auch warum: Der bekannte Gerichtsreporter Michel Auger wurde ganz in der Nähe mit sechs Kugeln auf dem Gelände seiner Zeitung «Journal de Montréal» niedergestreckt.
Auger überlebte wie durch ein Wunder. Die Polizei geht heute aufgrund von Informanten-Aussagen davon aus, dass der Mordanschlag auf Auger von den Hells Angels verübt wurde.
Sie wollten Auger für immer zum Schweigen bringen. Das Gegenteil ist eingetroffen. Auger, der sich zwischenzeitlich als Imker versuchte und drauf und dran war, seine Tätigkeit als Journalist an den Nagel zu hängen, wurde zum Symbol der Pressefreiheit in Kanada.
In seiner Autobiografie «L’assassinat» schreibt er auch, dass bereits Journalisten vor ihm angeschossen wurden, sie aber deswegen nie jene Aufmerksamkeit erhielten, die ihm zuteil wurde. Sein «Glück» war: Er hatte überlebt, arbeitete bei einer bekannten Zeitung und es war der Kulminationspunkt der Biker-Gewalt in Kanada, die ihn zum Symbol machten.
Zurück zu Gérald Gallant: Er wurde inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt, ohne Möglichkeit auf Freiheit, bevor er nicht seine 25 Jahre abgesessen hat.
Der Fall Gallant ist keineswegs einzigartig in der Geschichte von Kanadas Motorrad-Gangs.

Serge Quesnel. Quelle: Privatbesitz
Serge Quesnel (40) wurde 1994 ein Auftragskiller für das Hells Angels Charter «Trois-Rivières» unter Louis «Melou» Roy. Man versprach ihm das grosse Leben, wenn er für die Hells unliebsame Personen der Rock Machine aus dem Weg räumt.
Pro Mord gabs 25 000 Dollar
Für die Auftragsmorde erhielt er von den Hells zwischen 10 000 und 25 000 Dollar pro «Hit». Die Woche gabs obendrauf 500 Dollar und immer mal wieder einen fetten Zustupf in Form von Frauen, einem Auto, Partys und weiterem Geld.
Als die Polizei Quesnel 1995 schnappt, wird er zum Informanten. Er gesteht fünf vollendete Morde und 13 Mordkomplotte. Dann verrät er seine Kumpels, was zu Anklagen diverser Hells Angels führt. Quesnel erhält lebenslänglich, mit Aussicht auf Begnadigung nach zwölf Jahren – seit 2007 ist er unter neuer Identität wieder auf freiem Fuss.
Telefonsex à la Suisse
Auch Serge Quesnel hatte einen Link zur Schweiz, der jedoch viel profanerer Natur war, als jener Gallants: Aus dem Knast rief er immer mal wieder eine Telefonsex-Nummer an und parlierte mit der Dame am anderen Ende. Er war angetan von ihrem schönen Akzent, wie er sagte. Sein entferntes Telefonsex-Gegenüber lebte in der Schweiz, was Quesnel gesalzene Rechnungen bescherte.
Zuerst die interne Säuberung…

Yves «Apache» Trudeau. Quelle: Polizeifoto
Einiges bunter als Gallant und Quesnel trieb es jedoch Yves «Apache» Trudeau (64), ein kanadischer Hells Angel der ersten Stunde – in den 70er-Jahren war er Mitgründer des «North»-Charters in Laval.
Seine Mitbrüder verscherzten es sich jedoch mit anderen Hells Angels: Statt Kokain in Verkehr zu bringen, zogen sich die Laval-Biker den Stoff lieber selber in die Nase.
Auch sollen sie ein weiteres Charter (Halifax) um erkleckliche Summen erleichtert haben.
Das führte zum so genannten Lennoxville-Massaker (euphemistisch auch als «Lennoxville Purge» bekannt).
Am 24. März 1985 luden Hells des «Sherbrooke»-Charters in Lennoxville die Kumpels von Laval zu sich ins Clubhaus ein. Zuerst gabs zwar ein Bier. Dann aber kamen statt der Party blaue Bohnen geflogen: Fünf Laval-Mitglieder wurden erschossen.
Ihre aufgedunsenen Leichen trieben wenig später im Sankt Lorenz-Strom:

In Schlafsäcke verpackt und mit Betonklötzen in den Fluss geworfen. Einige der Lennoxville-Opfer. Quelle: Polizeifotos
… dann die Rache des Verräters
Auch Yves «Apache» Trudeau hätte damals ermordet werden sollen. Doch er hatte Glück: Er befand sich zur Zeit in einem Drogen-Rehabilitationszentrum.
Aus Angst meldete er sich bei der Polizei und wurde Informant. Sein Geständnis stellt bis heute alles in den Schatten.
Ein «Killing Spree» ohnegleichen
Während Jahren war Trudeau als Auftragskiller für die Hells unterwegs. Zwischen 1970 und 1985 gehen 43 Morde auf sein Konto, meist waren Drogenverteilkämpfe der Grund für die Morde.
Auch hier zahlten zwei Personen für Verwechslungen mit dem Leben. Trudeaus Aussagen führten zu weiteren 21 Anklagen und er verriet 95 andere Mörder.
Selbst kam Trudeau glimpflich davon: Er erhielt zwar lebenslänglich, konnte nach sieben Jahren aber auf Bewährung 1994 wieder raus.
2004 musste er sich erneut vor Gericht verantworten: Wegen x-facher sexueller Gewalt an einem Minderjährigen. Er wurde zu weiteren vier Jahren verurteilt. 2006 wurde bei Trudeau Knochenmark-Krebs diagnostiziert. 2008 wurde er unter Auflagen wieder begnadigt.