Eine eng vernetzte deutsche Abzocker-Szene agiert aus der Schweiz heraus im Internet. Dies belegen umfangreiche Akten im Besitz des «Tages-Anzeigers».
Von Christian Bütikofer
Sie posierten im Web vor Porsches, feierten sich mit Zigarre an Partys und machten sich über die Staatsanwaltschaft lustig. Sie hatten allen Grund dazu. Obwohl die Nachwuchsjuristen B.M. und O. S. in Deutschland, Österreich und der Schweiz unzählige Surfer mit vermeintlichen Gratisangeboten im Web abzockten, tanzten sie mit einem Firmen- und Webseitengeflecht der Justiz lange auf der Nase rum.
Doch Ende 2007 war Schluss. Mitte November schlugen die Beamten in Hamburg und Göttingen zu, beschlagnahmten Computer und Finanzunterlagen. In der Regionalpresse wurde die Staatsanwaltschaft zitiert, dass alleine mit dem Fischzug einer Firma 300’000 Euro auf einem Konto in Südhessen landeten, das täglich ins Ausland geleert wurde.
Was die Beamten nicht wussten: Einige Firmen der Verdächtigen sitzen in der Schweiz, so etwa die First Online Services (FOS), die sich mit der Webseite Dein-Fuehrerschein.com auf Pseudo-Gratis-Fahrschultests spezialisierte. Meldete man sich zum «Test» an, ging man einen Vertrag ein, in dessen klein Gedrucktem die Hauptsache steckte: 100 Franken Gebühren.
Philosophie der Grautöne
M. und S. waren für die FOS geschäftlich tätig, dies zeigen dem TA vorliegende Dokumente. Die Ermittlungen aus Deutschland dürften sich bald auf die Schweiz ausweiten; in einem Fall machte die Zuger Polizei bereits einen kurzen Hausbesuch.
Bisher dachten die Justizbeamten und Szenekenner immer, die Abofallenabzocke im Web sei eine Spezialität 20-jähriger Burschen. Für die FOS dürfte das Gegenteil zutreffen: Hinter dieser Firma agierte auch der 65-jährige Industriekaufmann Hero M. Eden aus Hannover, dem es in Luzern gefällt. Er bestreitet nicht, M. und S. zu kennen, meint aber, «diese Gauner» hätten ihn benutzt.
Eden, dessen Philosophie es ist, wie er sagt, dass sich alles zwischen Schwarz und Weiss bewegt, baut auf die guten Dienste von Erika Gasser. Die Multiverwaltungsrätin agierte bei der FOS als Strohfrau. Als die FOS Ende 2006 entstand, tauchte noch am Gründungstag ein Darlehensvertrag auf. Darin übertrug die FOS exakt die Summe ihres Kapitals von 100’000 Franken gleich an die MPS Max Power Swiss.
Dazu meint ein Insider lapidar: «Die FOS war doch nie werthaltig.» Für beide Firmen unterschrieb Erika Gasser; sie vertritt heute Hero M. Eden im Ausland.
Bereits zur Weihnachtszeit verschickt die FOS erste Rechnungen für ihren «Test». Und deren Euro-Konto bei der Luzerner Kantonalbank wird immer praller. Die Summen mussten die Geneppten allerdings ins Ausland überweisen, in die Geldschränke der Volksbank Dreieich in Südhessen.
Laut Dokumenten und Aussagen von Insidern war Hero M. Eden der einzige Zeichnungsberechtigte fürs Schweizer Euro-Konto. Gegenüber dem TA bestreitet er dies, räumt aber ein, «dummerweise einmal etwas unterschrieben zu haben».
Im Verlauf der nächsten Monate trudeln Hunderte Beschwerdebriefe bei der FOS ein. Viele der Beschwerden, die dem TA vorliegen, stammen von Eltern von Minderjährigen und Leuten in schwierigen finanziellen Verhältnissen.
In einem Schreiben steht: «Ich habe gestern eine Rechnung über 69.80 € erhalten. […] Ich lebe nur von einer kleinen Rente […]. Wie ich diese Summe aufbringen kann, ist mir ein Rätsel.» Der Herr bittet um Ratenzahlung – eine Antwort erhielt er nie.
Keiner dieser Briefe wurde je bearbeitet, dem TA liegen sogar noch ungeöffnete Couverts vor. Der FOS wurden überaus sensible Daten zugeschickt: Schuldnerverzeichnisse, Behindertenausweise, Vormundschaftsdokumente. Als man Eden auf die Briefe aufmerksam machte, meinte er laut einem Insider: «Geht mich nichts an, weg damit!» Eden bestreitet dies gegenüber dem TA. Im Gegenteil, erst damals sei ihm klar geworden, dass die FOS unseriös sei.
Post vom getürkten Anwalt
Von der Inkassofirma DIS Deutsche Inkassostelle aber erhielten die «Kunden» umgehend Post. Zum Teil auch dann, als die ergaunerten Summen längst bezahlt wurden, wie weitere Dokumente zeigen.
Die DIS gehört zum Umfeld des bekannten Frankfurter Abzockers Faustus Eberle und der Zuger Europe Holding. Zu ihr zählt auch die Mc Mobile Communication. Deren Vertrag über diverse Informatikdienstleistungen für die FOS waren «mit S. abgesprochen».
Der Rubel rollte, doch M., S. und Eden gerieten sich in die Haare. Anders ist ein kurioses Anwaltsschreiben nicht zu erklären, das dem TA vorliegt. Darin erklärt ein «Rechtsanwalt Dr. Andreas Schuster», er vertrete M. und S. und sei beauftragt, «den Verbleib von Geldern» zu klären, die ihnen zustehen würden.
Weiter ist dem Werk zu entnehmen, man müsse gegen Eden vorgehen. Der Brief ist eine plumpe Fälschung, Rechtsanwalt Schuster und seine Kanzlei existieren nicht, dafür gehörten seine im Brief genannten Fax- und Handynummern M. Die Webseite des getürkten Anwalts lautet auf einen «Peter Valmont». Recherchen des TA lassen darauf schliessen, dass dies neben Schuster ein weiteres Pseudonym von M. ist. S. verzichtete gegenüber dem TA auf eine Stellungnahme, M. meldete sich auf mehrfache Anfragen nicht.
Recherchen zeigen, dass das gleiche Umfeld mit dem ehemaligen Basler «Blick»-Journalisten Beat Alder (der sich heute nach dem Namen seiner Frau auch Beat Gomes Rocha nennt) und seinem Kompagnon Tobias S. in einem Boot sass. Deren Firma Alblanca schusterte ähnliche Webseiten zusammen – vom Flirt bis zum Hobbyporno war alles dabei.
Eine Firma aus dem erweiterten Umfeld dieses Rings fiel diesen März durch Spam für die Webseite «Daenischehobbyhuren » auf. In den E-Mails schreibt die «immer ein wenig spitze» Andrea, sie hätte ihr Hobby zum Beruf gemacht. Klickt man auf den Link, gehts weiter zu einem Puffverzeichnis.
Das wiederum betrieb kurz die Firma Pactus Consulting, nun die Bulltrade. In beiden Unternehmen trifft man auf den ehemals konkursiten Putzladenchef Daniele Sagliocca. Die Pactus benutzt heute für ihre sauberen Geschäfte die gleichen Führerscheintests, wie einst Ms. und S. FOS.
Saglioccas Umfeld stellte für die beiden mit der Naviance Trading eine weitere Firma auf die Beine und zeichnet sich durch Kreativität aus: Die Bulltrade-Aktien mit einem Wert von lediglich 200’000 Franken, wurden als Sacheinlagen gleich mehrfach in weitere Firmen eingebracht, zusammen im Wert von 800’000 Franken.
Das Kapital der Bulltrade basiert auf einem Schuldbrief. Aus diesem Umfeld stammen x weitere Firmenhüllen solcher Qualität.
© Tages-Anzeiger, 11.03.2008