Hochriskante Investition in Diabetes-Unternehmen

Christian Bütikofer

Mitarbeiter der Nordstein AG rufen ungefragt potenzielle Kleinanleger an und werben für Investitionen in die Urdorfer Firma Secure­cell AG. Dabei droht schlimmstenfalls ein ­Totalverlust.

Anfang Mai erhielt K-Geld-­Leser Alex S. aus Zürich einen Anruf aus heiterem Himmel. Am anderen Ende war ein Mann, der sich als «Herr Benz» der Zürcher Nordstein AG vorstellte. Der Telefon­verkäufer sagte Alex S., er solle die Gelegenheit beim Schopf packen und zu einem günstigen Preis ­Aktien der Firma Securecell AG kaufen – und zwar noch vor deren geplantem Börsengang: Für 90 Franken pro Aktie sei er dabei. Das sei ein Super­preis, denn der Aktienwert ­werde sich später auf 800, ja sogar 1500 Franken erhöhen. In Zukunft ­werde die Urdorfer Medizinaltechnikfirma mit Milliarden be­wertet. 

Aus Neugier bestellte Alex S. die Unterlagen. Nordstein schickte ihm Dokumente, die S. «eher als Werbematerial» einstufte. Man legte ihm etwa einen Artikel der Zeitung «Finanz und Wirtschaft» von diesem Januar bei, in dem prominent von einem bevorstehenden Börsengang der Securecell AG die Rede ist. «Dadurch erscheint die Securecell in ­einem seriösen Licht», kommentiert Alex S. Als er dann einen weiteren Anruf der Nordstein erhielt, bat er um die Zustellung eines Geschäftsberichts samt Erfolgsrechnung und Bilanz. Diese erhielt er – samt einer Einladung für ein Investorentreffen am 24. September in Zürich. 

Die AG bewirbt ihr Produkt «Seraccess». Das soll eine künstliche Bauchspeicheldrüse für Diabetiker sein. Bei Diabetes-Patienten reguliert sich der Blutzuckerspiegel nicht mehr von selbst. Dieses Problem soll «Seraccess» angeblich dank sehr genauer Messung lösen. Nach Jahren der Forschung existiert aber bis heute kein auf dem Markt erhältliches Produkt.

Securecell-­Chef Carlo Andretta schreibt dazu: ­«Unser Messverfahren wurde über sieben Jahre entwickelt und Ende 2019 auf der Basis von Prototypen­elementen erfolgreich abgeschlossen und qualifiziert.» Nach heu­tigem Erkenntnisstand werde die erste Anwendung der «Seraccess»-­Technologie Ende 2022 oder Anfang 2023 am Markt eingeführt.

Securecell lebt weitgehend vom Verkauf von Aktien

Trotz einem fehlenden Produkt werben aggressive Aktienverkäufer bei Schweizer Kleinanlegern immer wieder für die Securecell. Vor fünf Jahren beispielsweise kamen die Telefon­anrufe nicht von Nordstein, sondern von der Salfried AG. Auch damals wurde bereits ein Börsengang von Securecell ins Spiel gebracht. Potenzielle Anleger waren schon für etwas mehr als 20 Franken dabei.

Eine Analyse der Geschäfts­berichte zeigt, dass Securecell weitgehend vom Verkauf der Aktien lebt: Der grösste Teil des Ertrags der letzten vier Jahre stammt daraus. Der Nennwert einer Aktie liegt bei 10 Rappen pro Stück, der Verkaufspreis bei 90 Franken. Zurzeit sind mehr als drei Millionen Aktien von Secure­cell im Umlauf. So können die Urdorfer Firma und die Nordstein AG massenhaft Aktien ver­kaufen und Geld verdienen.

K-Geld hatte Kontakt mit In­sidern, die Securecell gut kennen. Eine Person sagt: «Den Investoren wird nicht gesagt, dass Nordstein und vorher Salfried weit mehr als 30 Prozent der Investments ver­langen.» Das heisst: Bei einem Preis von 90 Franken für eine Aktie gehen 27 Franken an den Vermittler, also die Nordstein AG. Secure­cell-Chef Andretta bestätigt, dass 25 bis 35 Prozent an die Nordstein als Kommission gehen. Man sei mit der Nordstein sehr zufrieden.

Weiter bemängeln Insider Andrettas hohes Gehalt, das eines Start-ups unwürdig sei. Er verdient nach eigenen Angaben bis zu 240000 Franken netto pro Jahr. Dazu kommt ein Bonus bis zu 30000 Franken, der erfolgsabhängig vom Verwaltungsrat festgelegt werde. Der Grund für die Kommission an die Nordstein sei der erhebliche Aufwand für die Akquisition bei Privatinvestoren. 

Nicht börsennotierte Aktien bringt man kaum los

Für Anleger ist eine solche Inves­tition in der Regel kein gutes Geschäft. Wichtig zu wissen: Wer Geld in Firmen steckt, deren Aktien und Obligationen nicht an der Börse gehandelt werden, kann die Anteile schlecht verkaufen. Denn es gibt dafür kaum einen Markt. Solche Firmen sind auch nicht zur Transparenz verpflichtet. 

Die Masche mit solchen Privat­investitionen ist nicht neu: Die Telefonverkäufer der Salfried AG verkauften auch Aktien des Zuger Pharmaunternehmens Amvac und kassierten dafür Millionen an Provisionen. Von jedem Verkauf sackten sie 60 Prozent des Geldes ein. Inzwischen ist die Amvac pleite, Anleger verloren Millionen (K-Geld 4/18). 

Die Staatsanwaltschaft Zug erhob im August 2019 Anklage gegen den Geschäftsführer der Salfried AG, unter anderem wegen gewerbsmässigen Wuchers und Gehilfenschaft zum gewerbsmässigen Betrug. Der Staatsanwalt beantragt eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren. Er befragte den Beschuldigten während der Unter­suchung auch zur Nordstein AG. Doch dazu wollte sich der Salfried-­Geschäftsführer in Anwesenheit ­seines Anwalts nicht äussern. Letzterer ist seit der Gründung der Nordstein AG einziger Verwaltungsrat. Mit­arbeiter, die früher für Salfried tätig waren, zügelten zu Nordstein.


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