«Kriegsgewinnler» und Staatschef: Das ist der Schwiegervater vom Xamax-Boss

Wie erschuf Bulat Tschagajew aus dem Nichts ein Milliarden-Imperium? Eine Antwort: Er hat Beziehungen bis in den Kreml. Sein Schwiegervater ist ein wichtiger Politiker, der grossen Einfluss auf den ersten Tschetschenien-Krieg 1994-1996 hatte. von Christian Bütikofer

Als Michail Gorbatschow als Präsident der Sowjetunion die Öffnung gegenüber dem Westen einführte, musste der Russe Wladimir Foteew 1989 abtreten. Lange wachte er mit unzimperlichen Methoden über seine Untergebenen der Tschetschenisch-Inguschetischen Autonomen Sowjetrepublik. Doch nun war es für den Ersten Parteisekretär dieser Kaukasusrepublik Zeit zu gehen.

An seiner Stelle installierte Gorbatschow mit dem zweiten Parteisekretär dieser Sowjet-Republik (es existierten zwischenzeitlich 16 Teilrepubliken, dazu gehörten u.a. Georgien, Ukraine, Weissrussland), Doku Gapurowitsch Sawgajew, einen Tschetschenen.

Dieser Wandel war bedeutsam, denn während der ganzen Zeit des Kommunismus war immer ein Russe Vorsteher der Republik, die Inguschen und Tschetschenen mussten sich jeweils mit der zweiten Reihe begnügen.

Dies war Ausdruck des tiefen Misstrauens, das die Moskauer Machthaber gegenüber den Kaukasiern hegten. Sie wussten warum: Während der Zarenzeit im 18-19. Jahrhundert eroberte Russland in jahrzehntelangen blutigen Konflikten den Kaukasus und damit auch Tschetschenien. Während der Terrorherrschaft von Diktator Josef Stalin wurden hunderttausende Tschetschenen nach Kasachstan umgesiedelt oder gleich umgebracht (1937-1944).

Aufstieg in der Kommunistischen Partei

Doku Sawgajew wurde 1940 im Dorf Benoy-Jurt geboren, in der flachen Ebene beim Fluss Terek. Jene Region gehört zum nordwestlichen Gebiet Tschetscheniens. Es ist im Gegensatz zum bergigen Süden fruchtbares Flachland und wurde nicht nur während der Zeit der grossen Deportation 1944 stark von Russen besiedelt. Die Region um Benoy-Jurt gehörte zum Territorium der russisch-beeinflussten tschetschenischen Herrscher-Elite.

Doku Sawgajew wuchs in der Verbannung in Kasachstan auf. Als es den Tschetschenen 1957 wieder gestattet wurde, in ihr Land zurückzukehren, arbeitete Sawgajew ab 1958 als Lehrer, Mechaniker und Chefingenieur auf einer Kolchose.

Danach stand er mehreren Kolchosen vor und wurde vor seiner Berufung zum obersten Tschetschenen (1989) Agrarminister der Tschetschenisch-Inguschetischen Autonomen Republik.

Gorbatschow missverstanden

Sawgajew erhielt seine Kader-Ausbildung in Moskau und wurde 1983 Zweiter Parteisekretär Tschetschenisch-Inguschetischens. Er war kein Reformer, doch von ihm wurde erwartet, dass er die Politik der Öffnung Gorbatschows auch in seiner Republik umsetzte.

Manche der Mitglieder in den obersten Entscheidungsgremien der Kommunistischen Partei (KPdSU) fanden, er sei in der Kunst des Machtspiels und der Parteiintrige bewandert. Trotzdem schätzte Sawgajew die Politik der Entspannung (Perestroika) Gorbatschows völlig falsch ein.

Bis zum Schluss glaubte er, die KPdSU und Gorbatschow würden am Schluss hart durchgreifen und die nach Unabhängigkeit strebende Teilrepublik Tschetschenien disziplinieren.

Ein Landsmann macht die Führung streitig

Doku Sawgajews grösster politischer Widersacher zu Beginn der 90er-Jahre war der ehemalige Generalmajor der sowjetischen Roten Armee Dschochar Dudajew. Sein erklärtes Ziel war die völlige Abspaltung Tschetscheniens von der Föderation.

Er sah die tschetschenische Eigenstaatlichkeit als einzige Garantie dafür, dass die Republik vor neuen kolonialistischen Gelüsten Russlands sicher war. Dudajew kontrollierte mit einer Allianz verschiedener politischer Richtungen zunehmend die politische Arena in Grosny – und sollte 1991 von über 80 Prozent seiner Landsleute zum Präsidenten gewählt werden.

Während Dudajews politischem Aufstieg in Tschetschenien entbrannte in Moskau zwischen dem Präsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow und dem Präsidenten von Russland (die grösste der 16 Teilrepubliken der damaligen Sowjetunion) Boris Jelzin ein Machtkampf.

Sawgajew stellte sich zu Beginn auf Gorbatschows Seite, in der Hoffnung, er würde seine bockige Teilrepublik wieder zur Räson bringen.

Gorbatschow versuchte als KPdSU-Chef die verschiedenen Sowjetrepubliken – u.a. Ukraine, Weissrussland, Baltikum – zusammenzuhalten, Jelzin versprach radikale Autonomie und verbot als Präsident der russischen Teilrepublik die Kommunistische Partei in der Russischen Föderation.

Putschist in Moskau

Als vom 19 bis 21. August 1991 Militärs und KPdSU-Hardliner einen gewaltsamen – erfolglosen – Putsch gegen Michail Gorbatschow in die Wege leiteten, sprach Sawgajew ihnen zu Beginn öffentlich seine Unterstützung zu und befand sich in Moskau. Die Hardliner wollten die alte Sowjetunion um jeden Preis erhalten.

Als am 21. August klar wurde, dass der Putsch fehlschlug, reiste Doku Sawgajew sofort in die tschetschenische Hauptstadt Grosny und versuchte sich von seinem Moskauer-Engagement loszusagen.

Der Putsch verhalft Boris Jelzin als Aushängeschild der neuen demokratischen Bewegung zur Macht, Gorbatschows Tage in der Politik waren gezählt, Sawgajew hatte auf die falsche Figur gesetzt.

Doch eine Kommission, welche die Hintergründe des Putschs untersuchte, wusch Sawgajew von aller Schuld weitgehend rein. Er wurde von Moskau als «guter Tschetschene» angesehen, der für die politischen Absichten des Kreml nützlich ist.

Aus der Hauptstadt vertrieben

Doch Sawgajews völlige Fehleinschätzung der Lage sollte sich nun in seiner Heimat direkt gegen ihn wenden. Am 3. September 1991 wollte Sawgajew hart durchgreifen und verhängte über die Hauptstadt Grosny den Ausnahmezustand.

Die geplante Aktion hatte den gegensätzlichen Effekt, denn sein Widersacher Dschochar Dudajew beherrschte durch seine Milizen faktisch Grosny. Drei Tage später liess der das Parlament stürmen – ein weiterer Putsch.

Unter grossem Druck und stiller Duldung aus Moskau trat Doku Sawgajew am 6. September öffentlich zurück, die Putschisten verzichteten auf eine schriftliche Erklärung. Ein Fehler: Am nächsten Tag widerrief Sawgajew seinen Rücktritt, doch faktisch war seine Zeit in Tschetschenien vorbei – vorerst.

Von Moskau aus organisierte Doku Sawgajew den Widerstand gegen seinen Rivalen Dschochar Dudajew jedoch weiter, und ab Dezember 1993 trat er durch einen «Provisorischen Rat» (eine Schattenregierung) unter Strohmann Umar Awturchanow wieder in Erscheinung.

Moskaus versteckter Krieg

Der «Provisorische Rat» wurde durch Moskau massiv unterstützt. So zahlte die russische Regierung etwa den Einwohnern aus Sawgajews Stammlanden im Nordwesten Tschetscheniens ausstehende Rentengelder, Medikamente, Saatgut.

Vor allem aber rüstete Russland die Schattenregierung mit schweren Waffen aus und stellte ihr auch Flugzeuge, Armeehelikopter und Personal zur Verfügung. Dazu kamen noch mindestens 40 Milliarden Rubel Bargeld.

Seit April 1994 verfolgte Moskau damit eine Strategie des niederschwelligen Kriegs, ohne eigene Truppen nach Tschetschenien entsenden zu müssen.

Im September 1994 versuchten Truppen von Sawgajews Strohmann Umar Awturchanow und seinem «Provisorischen Rat» einen Vorstoss in die Hauptstadt. Es blieb beim Versuch: Die Armee der Schattenregierung mit tausenden Kämpfern konnte Grosny nicht einnehmen. Stattdessen gerieten russische Soldaten in tschetschenische Gefangenschaft.

Mit dieser peinlichen Niederlage verschwand der vorgeschobene Führer der «Provisorischen Regierung» Umar Awturchanow von der Bildfläche, Moskau übernahm nun das Zepter selbst.

Der Jelzin-Gegner wird dessen Berater

Nach der Niederlage 1991 gegen Dschochar Dudajew schien Doku Sawgajew ein Relikt der alten Sowjetzeiten zu sein. Doch schnell holten ihn die Russen unter der Führung von Boris Jelzin wieder zurück. Wie es sich nach dem gescheiterten Moskau-Putsch abzeichnete, setzte sich Jelzin in der Zwischenzeit gegen Gorbatschow durch und wurde der erste demokratisch gewählte Präsident der aus den Trümmern der Sowjetunion neu entstandenen Russischen Föderation.

Der Politiker Doku Sawgajew überlebte und wurde Boris Jelzins Berater für die Region Tschetscheniens, den Kaukasus.

Und Jelzin fackelte nicht lange. Nach der für Russland inoffiziellen Invasion vom September 1994 griffen seine Truppen am 11. Dezember 1994 die abtrünnige Tschetschenische Republik an. Der «Provisorische Rat» um Sawgajew frohlockte.

Zum zweiten Mal oberster Tschetschene

Schon kurz nach der Invasion Tschetscheniens erscheint Doku Sawgajew 1995 in der kaukasischen Republik wieder in der Öffentlichkeit.

Die russische Regierung hatte die Abgeordneten des 1991 von Dudajew entmachteten Parlaments einbestellt: Die Altdeputierten wählten ihren früheren Sprecher Doku Sawgajew, er wird der neue Premier und zugleich noch Republikoberhaupt. Der frühere Chef der kommunistischen Partei Tschetscheniens hatte die Dudajew-Ära als Jelzin-Berater im Moskauer Kreml bestens überlebt.

Moskau wählte damit einen Politiker, den die eigenen Leute nicht leiden konnten, da unter ihm in der Vergangenheit Korruption und Vetternwirtschaft grassierten. Zudem spielten einige seiner privaten Fehden mit Konkurrenten im öffentlichen Leben der Republik eine grosse Rolle.

Der erste Tschetschenienkrieg war auch in Russland äusserst unpopulär. Wollte Jelzin für eine zweite Amtsdauer gewählt werden, er musste diesen Kaukasus-Krieg unbedingt beenden. Als Jelzin seinen Fehler einsah und sich an Verhandlungen mit den tschetschenischen Rebellen machte, wollte er nicht direkt mit ihnen verhandeln sondern schickte seinen Statthalter Sawgajew vor. Es kam beinahe zum Eklat, da die tschetschenischen Vertreter sich weigerten, mit Sawgajew an einem Tisch zu sitzen.

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen Russlands am 16. Juni 1996 einigte man sich auf einen Waffenstillstand, der aber zunächst von beiden Seiten nicht eingehalten wurde.

«Kriegsgewinnler», «Fürst ohne Volk»

Im August 1996 handelte dann der russische General Alexander Lebed mit dem Chef der tschetschenischen Übergangsregierung Aslan Maschadow ein neues Waffenstillstandsabkommen aus (der Vetrag von Chassawjurt).

Während dem fast zweijährigen Krieg kamen um die 80’000 Menschen ums Leben. Die russische Armee und tschetschenische Kämpfer machten sich dabei schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig.

General Lebed, der den endgültigen Waffenstillstand mitinitiierte, nannte Doku Sawgajew ungeniert einen «Fürsten ohne Volk» und «Kriegsgewinnler».

Dessen Zeit als Politiker in Grosny war nun endgültig abgelaufen, die tschetschenische Regierung suchte ihn per Haftbefehl. Doch das machte ihm nichts aus, er war in Moskau sicher.

Bald wurde Sawgajew Botschafter Russlands in Tansania. 2009 zog er von Afrika nach Europa: Er bekleidete den Botschafterposten in Slowenien.

© az Aargauer Zeitung, 12.09.2011

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