Deutsche Behörden haben Personen aus dem Umfeld des Musik-Verbandes IFPI im Visier. Die Beamten interessieren sich für Steuerfragen. Die Lobby der Schweizer Musikindustrie hält die Vorwürfe für haltlos, hat aber eine externe Prüfung angeordnet. von Christian Bütikofer
«Game Over». Mit dieser Aktion begann der Interessenverband der Musikindustrie IFPI (u.a. Universal, Sony, Warner, EMI) vor sechs Jahren die Offensive gegen Personen, die im Web Musikdateien unerlaubt verbreiteten.
Ende 2005 seien bereits 1500 Fälle in der Schweiz verfolgt worden, berichtete der IFPI Schweiz-Geschäftsführer. Er bezog sich dabei auf die für ihn eindeutige Gesetzeslage.
Im Verlauf von «Game Over» zerrte die IFPI weitere Privatpersonen vor Gericht, die Musik über Tauschbörsen verbreiteten. Meist einigte man sich aussergerichtlich auf Schadenersatzzahlungen zwischen 2000 und 10’000 Franken.
Neben den dauernden Angriffen mutmasslicher Raubkopierer müssen sich Vertreter der IFPI nun einer unerwarteten Attacke erwehren: Seit Wochen interessieren sich deutsche Beamte fürs Umfeld von Personen der IFPI-Landesgruppe Schweiz wegen Steuerfragen.
Schweizer AG für Lizenzen
Auf die IFPI wurden die Steuerbeamten durch die Zürcher Firma IPGate aufmerksam. Die IPGate gehört einer deutschen Erfinderfamilie, welche die Firma zur Verwertung des Geistigen Eigentums einschaltete. Deren Statthalter: der IFPI-Geschäftsführer.
Mitte April 2010 deponierte die IPGate bei der zentralen Steuerstelle Deutschlands in Bonn ein Begehren auf «Freistellung inländischer Einkünfte vom Steuerabzug».
Damit man in den Genuss dieses Erlasses kommt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Etwa der Nachweis, dass die Firma nicht einfach aus einem Briefkasten besteht. Für diesen Nachweis helfen Angestellte ungemein. Auch ein Domizil ist von Nutzen, das nicht bereits bekannt ist als Absteige anderer Körperschaften, bei denen die gleichen Leute die Finger im Spiel haben.
Langjährige tiefe Freundschaft
Der IFPI-Geschäftsführer präsentierte Bonn die gewünschten Nachweise und er erläuterte, warum er mit den Deutschen ins Geschäft kam: Es bestehe eine langjährige Freundschaft und man sei in ähnlichen Geschäftsfeldern tätig. Steuerliche Belange für den IPGate-Sitz in Zürich seien nicht ausschlaggebend gewesen, beteuerte er.
Seine Argumente stiessen in Bonn auf offene Ohren. Am 8. Oktober 2010 wurde der IPGate die gewünschte Freistellung gewährt, die Vergütungen flossen in die Schweiz.
Alles lief für die IPGate. Doch per Zufall schöpften Personen lokaler deutscher Finanzbehörden Verdacht. Man gelangte an Dokumente, die Fragen aufwerfen – sie liegen az vor.
Ende August 2009 hielt der Vorstand der IFPI eine Telefonkonferenz ab. Traktandiert waren unter anderem die Punkte «Adresse IFPI Schweiz» und «Personal». Zwei Vorstände wollten die Adresse der IFPI ändern. Von der Toblerstrasse 76a in Zürich sollte man an die Kantstrasse 30 umziehen.
Der Antrag wurde gutgeheissen – doch die Kantstrasse 30 gibt es in Zürich nicht. Heute residiert die IFPI an der Kraftstrasse 30. Sowohl die Kraftstrasse 30 wie auch die Toblerstrasse 76a gehören zum gleichen Haus – der Umzug fand lediglich fürs Telefonbuch statt.
Die Parzelle des Gebäudes ist laut Grundbuchamt auf eine Person eingetragen, die ebenfalls für die IFPI Schweiz lange Jahre gegen Aussen in Erscheinung trat – unter anderem auch als Kläger gegen Tauschbörsennutzer. Der Sinn dieses «Umzugs» von IFPI wird klar, wenn man weiss, wo die IPGate seit jeher residiert: an der Toblerstrasse 76a.
Beim Thema «Personal» machte der IFPI-Geschäftsführer dem Vorstand etwas «schmackhaft». Zwei IFPI-Angestellte sollten nicht direkt von IFPI Schweiz entlohnt werden sondern von der IPGate. Als Vorteil für die IFPI dieser Lösung steht im Protokoll: «Ich kann jetzt besser Personen suchen, da ich mich nicht verstecken muss. Momentan kann ich nicht unter IFPI Schweiz nach aussen auftreten.»
Als Vorteil für die IPGate liest man im Dokument: «Kann durch Angestellte besser den steuerrechtlichen ‹Aktivitätsnachweis› erbringen, um die deutsche Abzugssteuer (eine Art Quellen- bzw. Verrechnungssteuer) bei Lizenzgeschäften zurückzufordern.»
Der Vorstand war gemäss Protokoll auch mit dieser Lösung einverstanden.
Später berichtete der IFPI-Geschäftsführer den Bonner Steuerbehörden zur Funktion der zwei Angestellten: «Diese Personen tragen wesentlich zur Weiterentwicklung der IPGate AG bei» – obwohl sie ja offiziell für die IFPI tätig waren.
Diese Vorkommnisse erregen in Deutschland Misstrauen. Auch wenn dort momentan steuerliche Untersuchungen laufen, für alle Involvierten gilt die Unschuldsvermutung.
IFPI: Externe Prüfung angeordnet
Der IFPI Schweiz-Präsident nahm zu konkreten Fragen von az keine Stellung. Er hielt jedoch fest, die Vorwürfe seien verunglimpfende Behauptungen und Anschuldigungen an den Verband. Und: «Der Vorstand der IFPI erachtet zwar alle Vorwürfe als haltlos, hat aber dennoch eine rechtliche Prüfung durch externe Stellen angeordnet. Bei Vorliegen der Ergebnisse wird der Vorstand entscheiden, ob und wenn ja, in welcher Form Handlungsbedarf besteht und gegebenenfalls darüber informieren. Bis dahin können wir keine weitere Stellung dazu nehmen.»
Auf Anfrage sagte der IFPI-Geschäftsführer in seiner Eigenschaft als IPGate-Verwaltungsrat: «Wir haben keine Anzeichen, dass Finanzämter in Deutschland aktiv wurden.»
© az Aargauer Zeitung, 02.04.2011