Der UBS-Steuerskandal hatte direkte Auswirkungen auf die Badener AF-Colenco. US-Aussenministerin Hillary Clinton bearbeitete den Bundesrat, Colencos Iran-Geschäfte zu verbieten. Nach drei Jahren und unter dem Druck der Banken-Pleite gab Bern nach. von Christian Bütikofer
Als sich im März 2009 Bundesrätin Micheline Calmy-Rey und die US-Aussenministerin Hillary Clinton in Genf zum Gespräch trafen, gings unter anderem auch um die Aargauer Firma AF-Colenco. Das zeigt eine neue Wikileaks-Depesche, die von der norwegischen Tageszeitung «Aftenposten» veröffentlicht wurde.
Führend beim Schweizer Nukleartechnik-Programm
Die Nuklear-Experten der Schwedisch-Schweizerischen AF-Colenco geschäfteten schon lange mit dem Iran, seit 2004 besteht dort ein Verbindungsbüro.
AF-Colenco ging aus der Motor-Columbus-Gruppe hervor. Deren Ingenieur-Abteilung war federführend beim Schweizer Kernkraftwerk-Programm in den 60er-Jahren.
Die amerikanische Regierung verdächtigte AF-Colenco, das Iran-Embargo zu unterlaufen, das gegen das Land wegen dessen Urananreicherungs-Plänen verhängt wurde.
Clinton drängte Calmy-Rey, im Falle AF-Colencos endlich aktiv zu werden und der Firma die Iran-Geschäfte zu verbieten. Dazu schickten die Amerikaner Ende Juni 2009 ein weiteres Mal Geheimdiensterkenntnisse über AF-Colencos Aktivitäten.
Diese Informationen waren zentral, zeigt die Wikileaks-Depesche. Denn die damalige Volkswirtschafts-Vorsteherin Doris Leuthard bestätigte später, die US-Angaben über AF-Colenco hätten sich mit jenen der Schweizer Geheimdienste gedeckt.
Am 2. Juli 2009 war Schluss
Der Bundesrat setzte AF-Colenco ein Ultimatum. Die Badener sollten beweisen, dass die Iran-Deals legal waren, doch die Firma konnte die Vorwürfe nicht genügend entkräften. Am 2. Juli 2009 beschied der Bundesrat den Aargauern, ihre Geschäfte mit dem Iran sofort einzustellen.
Das Entgegenkommen des Bundesrates werteten die US-Diplomaten als Versuch, die UBS-Steuerbetrugsaffäre durch Konzessionen auf anderen Gebieten aus der Welt zu schaffen. Auch das zeigt die nun veröffentlichte Wikileaks-Depesche.
AF-Colencos Nuklear-Technologie-Chef Lucien Teunckens traf sich im November 2008 mit Schwedens Sicherheitsinspektor Lars Hildingsson von der Strahlenschutz-Behörde. Er machte Teunckens darauf aufmerksam, dass Schweden Exporte von Nukleartechnologie in den Iran verbiete. Teunckens versicherte, er sei sich dessen bewusst und man würde die Gesetze einhalten.
Schon früher habe er auch das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft SECO kontaktiert, beteuerte Teunckens, das SECO überwache AF-Colenco aufmerksam.
Diese «Kontaktaufnahme» dürfte nicht ganz freiwillig geschehen sein, denn das SECO hatte 2008 eine Untersuchung gegen seine Firma eingeleitet.
Bereits seit 2006 versuchten die USA AF-Colenco über die Regierungen Schwedens und der Schweiz zur Geschäftsaufgabe im Iran zu zwingen.
Bundesrat wehrte sich lange Zeit gegen Verbot
Der Schweizerische Geheimdienst «Dienst für Analyse und Prävention» DAP informierte die amerikanischen Behörden 2007, dass AF-Colenco im Iran am Projekt eines Wasserkraft-Reaktors beteiligt sei – die Abteilung Exportkontrolle des SECO bewilligte den Deal.
Die Amerikaner insistierten 2007, die Gefahr sei gross, dass die Iraner die AF-Colencos Leichtwasser-Technologie für den Bau von Reaktoren mit Schwerem Wasser zweckentfremdeten. Es wird benötigt, um spaltbares Nuklearmaterial zu gewinnen. Das Endprodukt: waffenfähiges Plutonium.
Verdacht: geheime Atomwaffenforschung
Doch der Bundesrat beharrte damals noch – vor dem UBS-Skandal – der AF-Colenco-Deal sei rechtens und verstosse auch nicht gegen UNO-Resolutionen.
Doris Leuthard meinte dazu gegenüber der Presse, das SECO habe seit 2008 ein Verfahren eröffnet und 2009 abgeschlossen. Sie habe über die Entscheidung am 30. Juni 2009 informiert.
AF-Colenco gleiste das Iran-Geschäft auch mit Hilfe von Seyed Hossein Hosseini auf, der im Zusammenhang mit dem Arak-Reaktor eine wichtige Rolle spielte. In Arak betreibt der Iran einen umstrittenen Schwerwasser-Reaktor zu «Forschungszwecken».
40 Millionen Dollar-Deal
Nachdem AF-Colenco das Iran-Geschäft verboten wurde, traf sich Erwin Bollinger, Chef der SECO-Abteilung Exportkontrollen und Sanktionen, Mitte September 2009 mit den Amerikanern. Er erklärte ihnen, unter der damaligen Gesetzeslage für Exporte habe AF-Colenco nicht gestoppt werden können, obwohl der Deal im EU-Raum illegal gewesen sei.
Bollinger berichtete weiter, AF-Colenco habe sich sehr kooperativ gezeigt und tausende Dokumente rausgerückt. Den wirtschaftlichen Schaden für die Firma bezifferte er auf 40 Millionen Dollar.
Die Dokumente hat Bolligers Behörde zur Analyse ans Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI geschickt. Die Experten meinten, das von AF-Colenco in den Iran transferierte Wissen sei in der «Public Domain» zugänglich gewesen.
Mit anderen Worten: Es habe sich um Wissen gehandelt, das auch heute jedem Interessierten ohne Einschränkungen zugänglich sei.
Iranisches Personal in der Schweiz ausgebildet
Das sahen die Amerikaner jedoch anders: Die Grundlagen seien zwar frei zugänglich, die Expertenberatung zu diesem Wissen durch AF-Colenco sei jedoch keineswegs Allgemeingut gewesen. Genau diese Dienstleistung habe der Iran auch erhalten wollen, als das Land AF-Colenco kontaktierte.
Darüber hinaus habe AF-Colenco mindestens eine Akte als «höchst geheim» deklariert. Darin hätten die Aargauer detaillierte Design-Spezifikationen für den Kern eines Reaktors in der Nähe von Darkhovin auf Basis eines niederländischen Computerprogramms geliefert.
Zusätzlich seien in der Schweiz Mitarbeiter der iranischen Firma MASNA ausgebildet worden. Zwischen MASNA und dem iranischen Nuklearprogramm bestehe eine direkte Verbindung.
Hohelied auf Armee- und Wirtschafts-Filz
In der gleichen Sitzung gab Erwin Bollinger seinen Gesprächspartnern eine kleine Geschichtslektion in Sachen Filz zwischen Schweizer Entscheidungsträgern.
Er meinte, früher hätten politische Leader in der Schweiz mit den Wirtschaftsbossen gemeinsam in der Armee gedient und so persönliche Banden geknüpft.
Hohe Regeriungsbeamte hätten dann dieses Netzwerk benutzt, um solche Export-«Probleme» zu «lösen», bevor die Regierung ein Exportverbot aussprach. Bollinger bedauerte, dass dieses Armee-Netzwerk je länger je weniger bestehe.
AF-Colenco-CFO Dominik Heitzmann erklärte gegenüber «az», dass man sich trotz der aktuellen Veröffentlichungen nicht dazu veranlasst sehe, eine Presseerklärung abzugeben.
Gegenüber der Schweizerischen Depeschenagentur SDA bestritt später ein Sprecher der Firma, man sei jemals an einem iranischen Uranaufbereitungsprogramm beteiligt gewesen.
Wikileaks-Depeschen: 09BERN273, 08STOCKHOLM814, 08STOCKHOLM105067, 09STATE101981, 09STOCKHOLM778
© 20.01.2011, Aargauer Zeitung