Verfasser von «Mein verspieltes Land: Ungarn im Umbruch» als Spitzel verunglimpft

Tja, es fing mit einer simplen Pressemitteilung an. Osteuropa-Kenner Paul Lendvai veröffentlichte ein kritisches Buch über sein Heimatland Ungarn – und die Gegner bezichtigten ihn in der Schweiz im Vorfeld der Buch-Präsentation gleich als «Volksverhetzer», der die Schweizer gegen Ungarn aufbringen will.

Doch damit nicht genug. Jetzt versuchten sie ihn auch noch als kommunistischen Spitzel zu «outen». Sehr witzig, wer Lendvais politische Ansichten durch seine Bücher kennt. Von Kommunist keine Spur, im Gegenteil. Seine einzige Sünde: Er ist ein kritischer – brillanter – Kopf und Verfechter einer offenen Gesellschaft.

Hier die ganze Geschichte, von Paul Lendvai auf der Website seines Verlags Ecowin am 18.11.2010 veröffentlicht:

«Mit Bestürzung habe ich in der Wochenzeitung „Heti Valasz“ jenen Artikel gelesen, der, aus den diplomatischen Berichten des kommunistischen Regimes aus herausgegriffenen Futzerln aus meinen Memoiren und anderen Büchern und künstlichen Wortverbindungen zusammenstellt, sensationsheischend und „entlarvend“ beabsichtigt, mich in meiner menschlichen Ehre und journalistischem Ruf zu verletzen. Nichts weniger wird behauptet, als dass ich mich in den 80er Jahren über die ungarische Botschaft in Wien dem damaligen Regime als „freiwilliger Informator“ angeboten habe. Man wirft mir vor, dass ich 1985 ungarischen Diplomaten über den Budapester „Oppositionsgipfel“ erzählt hätte.

Es war und ist eine natürliche und übliche journalistische Praxis, mit Diplomaten und offiziellen Persönlichkeiten in Form von ungezwungenen Gesprächen Verbindung zu halten. Es liegt in der Natur der Sache, dass die beiden Informationen austauschen, ohne dass sie einander als „Informator“ betrachten würden.

Was das sogenannte „alternative Gegenforum“ zum 1985er „Europäischen Kulturforum“ betrifft, so war dies nicht ein Oppositionsgipfel, sondern eine öffentliche Veranstaltung mit der Teilnahme angesehener internationaler Persönlichkeiten, über die die Weltpresse berichtet hat. Die über dieses Ereignis entstandenen Dokumente waren nicht geheim, so auch nicht die englischsprachige Einladung, die jeder hätte jedem geben können.

Dieses Ereignis war damals Mittelpunkt der öffentlichen Gespräche und natürlich kommentierte der Diplomat nach seinem bzw. dem Geschmack seiner Auftraggeber entsprechend meine damaligen Worte, zitierte mich also nicht wörtlich.

Die Anschuldigung eines „doppelten Lebens“ im Titel ist einfach lächerlich, wie auch die Annahme irgendwelcher „Dienste“ meinerseits.

Meinen damaligen Standpunkt belegen überzeugend die TV-Reportagen und Kommentare, von denen die Autoren von „Heti Valasz“ nicht einmal einen Zwischenschnitt gesehen haben.

Mein Verhältnis zum Regime wird in den Akten im Archiv des Staatssicherheitsdienstes dokumentiert, welche auch in meinen auch in ungarischer Sprache erschienenen Memoiren jeder nachlesen kann. Also auch die Tatsache, dass auf die Frage der ostdeutschen Staatssicherheit das ungarische Innenministerium Ende 1984 mich als „feindliches Element“ qualifiziert hat und meine Arbeit als Chefredakteur der Osteuropa-Redaktion des österreichischen Fernsehens als „anti-kommunistisch“ und „anti-sowjetisch“ beschrieben.

Also nicht nur ich war im Bilde über den Standpunkt meiner Gesprächspartner der Botschaft, sondern auch sie hätten bezüglich meiner Person keine Illusionen pflegen können. Die ungarischen Staatssicherheitsorgane haben mich bis zuletzt mit Spitzeln beobachtet und mich als „Zielperson“ betrachtet.

Gleichzeitig hatte ich als Mitarbeiter der österreichischen, öffentlich-rechtlichen Medien natürlich den Stand der österreichisch-ungarischen Beziehungen und die daraus sich bietende Möglichkeit in Betracht gezogen. Wir haben die relative Offenheit Ungarns genützt und eine Kommunikationspolitik der sogenannten „offensiven Auflockerung“ betrieben, die die Informationsfestung des Ostblocks durchbrochen hat.

Es ist kein Zufall, dass manche osteuropäischen Hauptstädte, so Moskau und Warschau bis zuletzt für mich gesperrt waren.

In dieser Art habe ich natürlich Kontakte mit offiziellen Persönlichkeiten und Institutionen gepflegt, aber nie etwas getan, das nicht ehrenhaft gewesen wäre oder die journalistische Ethik verletzt hätte.

Ich glaube, dass die zügellose Hetze, betrieben durch einen Teil der ungarischen Presse gegen mich, nichts anderes ist als eine Retourkutsche für mein letztes Buch.

Über meine Werke oder Ansichten kann jeder diskutieren, die Methode von „Heti Valasz“ ist aber eine bewusste Diskreditierung, deren Ziel ist, die ausländischen Kritiker der Regierung unter Druck zu setzen und gegebenenfalls zum Schweigen zu bringen.

Diese Methoden, welcher sich früher die kommunistischen Diktaturen bedienten, sind aber für eine Demokratie völlig unannehmbar.

Paul Lendvai, Wien 18.11.2010»

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