In einer konzentrierten Aktion griffen die Justizbehörden Zürich und Aargau zu: Sie stellten wegen Verdachts auf Missbrauch von Telefonzentralen der Swisscom kistenweise Akten und Computer sicher.
Christian Bütikofer
Vor einigen Tagen standen sie vor seiner Tür: In Absprache mit den Aargauer Kollegen durchsuchten Zürcher Polizisten die Wohnung von M. Als sie wieder gingen, war M. um einige Akten und Computer ärmer. Er steht im Verdacht, fürs schnelle Geld diverse Gaunereien begangen zu haben.
Vom Tramchauffeur zum CEO
M. liebt teure Clubs: Das Indochine, das Kaufleuten, dort verkehrt er regelmässig. Doch das exklusive Nachtleben ist nicht gerade billig. Offenbar war M. auf der Suche nach einem gutbezahlten Job. Erst überlegte er sich, Tramführer zu werden. Alles was es brauche, sei ein guter Leumund. Danach würden 5000 Franken netto locker drinliegen, fand der 21-Jährige.
Doch dann hatte er noch eine bessere Idee: M. wollte Boss werden. Dazu gründete er in Zug eine eigene Firma. Zuerst wird er «CEO» von M & Partner, dann ändert er das Unternehmen um. Die seltsamen Aktionen begannen.
Knapp 1500 Swisscom und Sunrise-Kunden betroffen
Ende April 2010 erhielten Swisscom und Sunrise auffällig viele Reklamationen von Kunden, die offenbar eine Porno-Nummer gewählt haben, davon aber nichts wussten. Kostenpunkt: Ein Anruf von wenigen Sekunden wurde mit fast 100 Franken verrechnet. Gegenüber der Redaktion a-z.ch gaben Swisscom und Sunrise an, knapp 1500 Personen seien davon betroffen gewesen.
Bei den meisten hätten die Provider den Betrugsversuch aber abgewendet, bevor Geld abgebucht worden sei. Und dort wo die Abbuchung stattfand, annullierten die Provider die Kosten. Zuerst wiegelte Sunrise bei Reklamationen ab. Doch die Beschwerden wurden immer zahlreicher, auch der «Kassensturz» berichtete darüber.
Recherchen der Redaktion a-z.ch zeigen: Erst reservierte sich M. beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) Mehrwertnummern (so genannte 0900er-Nummern), dann aktivierte er sie gleich selbst. Denn die für Anrufer sehr teuren Nummern werden erst zu Geld, wenn sie auch jemand nutzt.
Versuchter Schaden: über 100’000 Franken
So sehen es die Untersuchungsbehörden: M. verschafft sich Zugang zu diversen Telefonzentralen der Swisscom. Zuerst im Kanton Aargau, dann in Zürich. Er geht in die Telefonzentralen, stöpselt die Kabel um und – schwupps – haben x Personen die teure Nummer gewählt, die er vorher beim BAKOM reservieren liess. Er steckt einfach die Telefonverbindungen um, wie wenn jemand zu Hause sein Netzwerkkabel einsteckt.
Die Badener Untersuchungsrichterin Anna Wiedenhofer meinte gegenüber a-z.ch, der Fall sei für sie relativ klar. Sie geht von einem versuchten Schaden von über 100’000 Franken aus.
Erste betroffene Zentrale war «ohne kritische Infrastruktur»
Wie kann jemand unbemerkt in einen derart sensiblen Raum eindringen? Wie ist etwa die Telefonzentrale Fislisbach gesichert, die als erste «besucht» wurde?
Swisscom-Mediensprecherin Myriam Ziesack sagte, die Telefonzentralen seien zuerst mit Badges gesichert. Das Zugangskontrollsystem im Innern der Zentrale sei abhängig vom Schutzbedarf der Infrastruktur: Für kritischere Zugänge kommt ein Inhouse-Schliesssystem mit Schlüssel und/oder weiteren Badgeleser zum Einsatz.
Zusätzlich sei die Nachvollziehbarkeit der Zutritte jederzeit gewährleistet. Die Telefonzentrale Fislisbach sei eine kleinere Zentrale ohne kritische Infrastruktur.
Genützt hat M. wohl auch seine Erfahrung als Telematiker. So behauptete er, in der Vergangenheit für die Swisscom Hausinstallationen durchgeführt zu haben.
Liechtenstein stellt Rechtshilfegesuch
Der Telefon-Coup war M. offenbar nicht genug. Kaum hatte er die Mehrwertnummern-Abzocke durchgezogen, widmete er sich einem neuem Geschäftmodell: Adressbuchschwindel. Er versuchte die Masche mit den täuschenden «Gratis»-Einträgen in horrend teuren aber völlig nutzlosen Firmenregistern in Liechtenstein aus.
Diverse Geschädigte haben sich bei der Landespolizei gemeldet, worauf das Ländle in Zürich ein Rechtshilfegesuch deponierte. Die Abklärungen sind auch in diesem Fall am laufen.
Auf Anfragen der Redaktion a-z.ch reagierte M. nicht.
© Aargauer Zeitung Online, 29.06.2010