Archive for July, 2009

Nur ein Thema – das ist zu wenig

Tuesday, July 21st, 2009

Christian Bütikofer

Die Piratenpartei Schweiz geniesst grosse Medienaufmerksamkeit. Das Gleiche gilt für ihren jungen Präsidenten, Denis Simonet (TA vom 14. Juli). Die Gruppierung stammt ursprünglich aus Schweden, ist in mehreren Ländern aktiv und setzt sich für die Abschaffung des Urheberrechts ein. Sie will Downloads im Internet legalisieren und wehrt sich gegen die Internetüberwachung durch den Staat. Die Piraten wollen sich nicht ins Links-rechts-Schema einordnen lassen. Statt auf Meinung setzen sie auf, wie sie sagen, «ideologiefreie Fakten» von Experten.

Es ist nicht die erste Bewegung dieser Art in der Schweiz. Bereits 1998 haben im Sog der ersten Web-Welle Leute in der Schweiz eine solche Partei lanciert: die Internetpartei. Deren Exponent war Guido Honegger, Gründer und ehemaliger CEO des Internetproviders Green.ch sowie Ex-Vizepräsident des FCZ. Auch die Internetpartei wollte sich damals nicht ins Links-rechts-Schema pressen lassen, auch sie verstand sich als «Kompetenz-Zentrum» in Sachen Web. Und auch Honegger wehrte sich einst gegen den Einwand, man sei eine Einthemenpartei – wie jetzt Denis Simonet.

Knochenarbeit war zu viel

Bereits ein Jahr später war die Internetpartei am Ende. Eine Partei, die auf drängende gesellschaftliche Fragen keine Antworten weiss, hat kein langes Leben. Grossen Ankündigungen – Honegger rechnete mit über 100 000 Mitgliedern in einem Jahr – hätte die tägliche Knochenarbeit folgen sollen. Eine Initiative zur elektronischen Abstimmung kam aber nie zustande. Die Köpfe der Internetpartei waren den politischen Anforderungen nie gewachsen.

Die Piratenpartei konnte bisher einzig in Schweden reüssieren. Bei den Wahlen ins EU-Parlament gewann sie im Juni einen Sitz. Ohne die international beachtete Klage der Filmindustrie gegen Exponenten des Download-Portals The Pirate Bay wäre dieses Resultat kaum zustande gekommen.

Die Piratenpartei Schweiz versammelt auf Facebook heute über 3000 Mitglieder. Das ist einfacher zu erreichen und bedeutend billiger, als ein Referendum erfolgreich durchzustehen. Der grösste Erfolg für die Piratenpartei Schweiz wäre, wenn etablierte Parteien ihre Forderungen übernehmen würden.

Das sähe auch der schwedische EU-Abgeordnete der Piraten, Christian Engström, gern. Damit hätte man das Ziel erreicht und würde sich selbst abschaffen, sagte er dem «Spiegel».

© Tages-Anzeiger; 21.07.2009

Weitere geheime Pläne für Web-Kontrolle

Saturday, July 18th, 2009

Beim Surfen und Telefonieren im Web will der Bund dabei sein. Weitere Eingriffe sind geplant, obwohl alte Vorgaben für weniger aufwendige Massnahmen nur mangelhaft umgesetzt wurden.

Christian Bütikofer

Das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) plant die vollständige Überwachung der Internetnutzung von in Strafverfahren verdächtigten Leuten. Dies machte die «Wochenzeitung» am Donnerstag publik und veröffentlichte «vertrauliche» Dokumente. Ab diesem August müssen sich gemäss der neuen Richtlinie alle Internetprovider technisch aufrüsten und vom Bund zertifiziert werden – Zeit bleibt ihnen dafür bis Ende Juli 2010.

Für die kommende Echtzeitüberwachung des Internetverkehrs werden die Kosten hauptsächlich den Providern aufgebürdet. «Dazu sind kleine Unternehmen finanziell gar nicht in der Lage», sagt Fredy Künzler, Chef des Internetproviders Init7. Er kritisiert die kurze Anhörungsfrist von bloss drei Wochen, die Geheimnistuerei und meint zudem: «Abhörversuche sind durch Verschlüsselung der Daten sehr einfach zu umgehen.»

Guido Balmer, Sprecher des EJPD, begründet die Vertraulichkeit des Dokuments: «Der Inhalt war im Interesse der Strafverfolgungsbehörden nicht für die Öffentlichkeit bestimmt», denn es würden im Dokument auch prozessuale und technische Informationen erwähnt. Zudem habe die neue Richtlinie einen langen Vorlauf gehabt. Das sei nichts Spezielles. Die Anhörung der Provider stelle sozusagen den Zieleinlauf dar.

Was heisst «Echtzeitüberwachung» konkret? Dem TA ist ein Fall beim Provider Sunrise bekannt. Aufgrund eines richterlichen Beschlusses musste die Firma einem Kunden statt eines normalen DNS-Servers einen zuweisen, der direkt von Bundesbeamten überwacht wurde. Ohne DNS-Server ist niemand in der Lage, Websites aufzusuchen.

Fortan konnten die Beamten die Aktivitäten des Verdächtigen mitverfolgen. Die Informationsperson aus dem Umfeld von Sunrise bezweifelt, dass neue Richtlinien solche Aktionen einfacher machten: «Für jeden Einzelfall ist das sehr aufwendig.»

Laut Guido Balmer sind Echtzeitüberwachungen heute sehr aufwendig, weil man mit jedem Provider einzeln eine Lösung finden müsse. Deshalb soll nun die Richtlinie hier eine bessere Handhabe schaffen.

Überlastete Überwacher

Ob eine neue Richtlinie strukturelle Probleme löst, ist fraglich. Denn bisher hat das EJPD noch immer Probleme, bereits seit Jahren bestehende Vorgaben zur Überwachung von Internetaktivitäten in die Tat umzusetzen.

So berichtet ein Insider der Provider-Szene: «Bis heute sind einige Internetprovider noch nicht einmal in der Lage, die E-Mail-Header zu speichern, weil das EJPD die dazu notwendigen Implementationen und Tests noch gar nicht durchgeführt hat.» E-Mail-Header sind Angaben, aus denen man sieht, über welche PCs im Web die Mails verschickt werden.

Seit 2003 müssten alle Provider solche Daten für eine gewisse Zeit sichern. Guido Balmer bestätigt, dass hier ein Problem bestehe. Die Leute vom EJPD seien aber bemüht, zusammen mit den Providern diese Prozesse zu «optimieren».

Handys werden separat behandelt

In der bekannt gewordenen neuen Richtlinie fehlt UMTS. Durch UMTS kommunizieren wir heute übers Handy, laden Programme aufs iPhone herunter. Immer mehr Leute benutzen Abos bei Swisscom, Orange und Sunrise, um damit mit ihren Laptops im Web zu surfen.

Warum also fehlt diese Technologie? Balmer bestätigt, dass UMTS in der vorliegenden Richtlinie nicht erwähnt wird. Diese Richtlinie sei aber nicht die einzige und nicht die letzte. Näher wollte er darauf nicht eingehen. Die bekannt gewordenen «vertraulichen» Dokumente sind demnach nicht die einzigen geheimen Massnahmen zur Internet-Überwachung in der Schweiz.

© Tages-Anzeiger; 18.07.2009