Web-Mobbing gibts in vielen Facetten. Nicht nur Jugendliche sind Täter und Opfer, auch erwachsene Profis mischen mit. Wer jedoch meint, das sei allein die Schuld des Internets, der irrt.
Von Christian Bütikofer
Wenn Jugendliche einander übers Internet mit Wörtern und Bildern fertigmachen, wenn sie sich in Community-Portalen wie Facebook mitteilen, dass sie ihre Lehrer am liebsten «mit der Eisenstange» verprügeln möchten, dann ist der Begriff «Internetmobbing» oder «Cyberbullying» sofort in aller Munde. Das Phänomen bekam in letzter Zeit in den Medien immer mehr Platz. Meist darum, weil es als «neu», «überraschend», als typisches Phänomen der Jugend und des Mediums Internet aufgefasst wurde.
Ist diese Art Pöbelei neu und etwas Typisches fürs Internet? Ist es erwiesen, dass Cyberbullying zunimmt und mehr ist als das bisher übliche Schikanieren auf dem Pausenplatz? Bleibt Internetmobbing den Jungen vorbehalten, können das Alte nicht genauso? Zwei Fälle zeigen exemplarisch, womit Cyberbullying zusammenhängt.
Lauren ist eine Oberstufenschülerin aus Texas und leidet an multipler Sklerose. Über ein Forum und bei sich zu Hause wurde sie über längere Zeit schikaniert. Im Web machten sich ihre Peiniger mit dem Titel «Lauren ist eine fette Kuh. Muh, du Schlampe» über ihre Krankheit und ihre Übergewicht lustig. Zugleich wurde ihr der Tod gewünscht. Das war den Mobbern aber noch lange nicht genug. Jemand beschädigte ihr Auto und spritzte Säure gegen ihre Wohnung.
Wegen eines noch krasseren Falls begann in den USA dieser Tage ein Prozess wegen Internetmobbings. Die Angeklagte Lori D. kontaktierte 2006 eine an Depressionen und Übergewicht leidende Ex-Kollegin über die Community-Plattform My Space mit einem erfundenen Profil eines Jungen namens «Josh». Lori D. alias Josh begann mit der Ex-Kollegin zu flirten, machte ihr über längere Zeit grosse Hoffnungen und brach dann die virtuelle Beziehung abrupt ab. Die letzte Botschaft von «Josh» ans Opfer: «Die Welt wäre besser ohne Dich.» Und: Sie sei fett und eine Schlampe. Am selben Tag erhängte sich das Mädchen. Wie sich herausstellte, war nicht nur Lori D. Teil dieses lausigen Spiels, auch deren Eltern mobbten fleissig mit.
Das Web ist ein Verstärker
Beide Geschichten weisen darauf hin, dass Internetmobbing zumeist einen realen Hintergrund hat – und nicht einfach so durchs «böse» Internet entsteht. So zeigt eine 2006 von Harris Interactive für das amerikanische National Crime Prevention Council durchgeführte Studie über Cyberbullying, dass 77 Prozent der Opfer ihre Peiniger kannten. Das ursächliche Problem scheint nicht das Medium Internet zu sein, sondern die asozialen Peiniger.
Aber durch das neue Medium hat ihr Tun mehr Wirkung: Im Web wird so jeder regionale Konflikt global. Jeder kann zuschauen, das Opfer wird vor der ganzen Welt gedemütigt – die Quälgeister können ihre Opfer vor mehr Personen nötigen als früher auf dem Pausenplatz, die Schikanen aber bleiben gleich. Das Internet hat die Sache verkompliziert: Mehr Jugendliche als früher stehen dem eigentlich alten Problem des Gehänselt-Werdens vor dem Computer allein gegenüber. Nur 10 Prozent der Opfer erzählen ihren Eltern laut der zitierten Studie überhaupt von ihren negativen Onlineerfahrungen – sei es, weil sie sich schämen oder weil ihre Eltern von diesem Medium keine Ahnung haben.
Studien legen nahe, dass Bullying mithilfe digitaler Medien ein zunehmendes Phänomen ist. Die bereits erwähnte Studie von Harris Interactive etwa zeigt, dass mindestens 43 Prozent der befragten Teenager zwischen 14 und 17 Jahren schon einmal Opfer virtueller Belästigungen waren, wobei mehr Mädchen betroffen waren als Knaben (51 zu 37 Prozent). Davon abzuleiten, es gäbe durchs Internet mehr solche Fälle als bisher, ist jedoch nicht zulässig, die Daten dazu fehlen. Und diese zwei krassen Fälle zeigen auch nicht das wahre Gesicht des Internets, sondern es zeigt uns, wie verächtlich Menschen miteinander umgehen.
Erwachsene sind nicht besser
Unbestritten ist: Beim Thema Cyberbullying bedarf es dringend der Aufklärung. Im Unterschied zu Europa existieren in den USA bereits diverse Aufklärungskampagnen, zum Beispiel auf www.ncpc.org, der Webseite des National Crime Prevention Council. Der Fall von Lori D. zeigt zudem, dass man sich nicht nur über unreife Jugendliche Gedanken machen muss, sondern auch welche Rolle die Erwachsenen im Onlineleben ihrer Sprösslinge spielen und wie sie selbst miteinander umgehen – nicht nur im Web.
Am 24. Oktober 1989 verschluckte Umweltfachmann Werner H. beim Zmorge fast sein Gipfeli, wusste der «Blick» zu berichten. Werner H. las in seinem Leibblatt seine eigene Todesanzeige. Der engagierte Umweltschützer legte sich mit regionalen Aargauer Wirtschaftsgrössen an, kritisierte Bauprojekte. Ein Einzelfall? Pascal D. durfte diesen Juni dieselbe Erfahrung machen, gleich in vier Zeitungen. Sein Vergehen? Er sah, wie sein vormals bester Kumpel seine Freundin schlug. Pascal D. riet ihr zur Anzeige. Da rastete der Übeltäter aus, schickte zuerst x Droh-SMS, dann buchte er die gefälschten Todesanzeigen.
Es «primitivelt» bei Erwachsenen ganz gewaltig, nicht erst seit dem Internet, mit viel Fantasie und überaus deftig. Ein Blick ins Zwischenmenschliche gibt weiteres Anschauungsmaterial: In England bot dieses Jahr ein gehörnter Ehemann seine Frau auf Ebay zur Versteigerung an und nannte sie eine Nutte. In den USA musste diesen August ein Kadermann der Credit Suisse den Sessel räumen, weil ihn der Ex-Mann seiner neuen Freundin auf Schritt und Tritt im Web als reichen Lüstling bezeichnet hatte.
Es gibt einige Theorien, wie es zu solchen Exzessen kommt. Die Wichtigste ist die des «Enthemmungseffekts». Wie man in vielen der Beispiele sieht, agieren die Aggressoren anonym, ob online oder offline. Durch eine (scheinbare) Anonymität fühlen sich viele Menschen zu solchem Verhalten ermutigt. Dies wird noch dadurch begünstigt, dass im Internet eine Autoritätsbehörde fehlt.
Deutsche Profi-Porno-Mobber
Neben den besprochenen laienhaften Internetmobbern mit persönlichen Motiven gibt es aber noch eine weit unterschätzte Gruppe: die der professionellen Cyberbullys im Internet. Ihr Ziel sind meist politisch aktive Personen, nicht genehme Journalisten und Staatsbeamte.
Margrit G. engagiert sich seit Jahren gegen illegale Bauten auf dem Zürcher Uetliberg. Seit der betroffene Hotelier sie auf einem Plakat namentlich nannte, kommt sie in einer rechtskonservativen Webseite zu Ehren – dort wird sie anonym als Ökofaschistin verunglimpft, und die Leser werden aufgefordert, man soll ihr «die Meinung sagen». Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-Adresse veröffentlichen die digitalen Schmutzfinken gleich mit.
Weit übler erging es dem deutschen Journalisten P. Auf seiner Webseite veröffentlichte er Recherchen über internationale Adressbuchschwindler. Die verstecken hohe Kosten im Kleingedrucktem ihrer Verträge für wertlose Adressbücher. So zocken sie pro Jahr Millionen Franken ab. Nicht lange und einige Exponenten dieser Adressbuchmafia schickten seinen Nachbarn Briefe, mit dem Inhalt, P. sei ein Pornoproduzent. Die Zettel waren mit übelsten Hardcore-Bildern garniert. Damit nicht genug. Die virtuellen Mobber stellten Webseiten ins Netz, die jener des Journalisten glichen und eine ähnliche Adresse besassen. Auf den Fälschungen befanden sich Tierpornobilder.
Daneben klagten verschiedene in dieser «Branche» tätige Firmen den Journalisten ein, auch in der Schweiz. Hier wollte ihm die Firma Novachannel verbieten, sie unter den Begriffen «Adressbuchbetrüger», «Bauernfänger» und «Unterschriftenerschleicher» zu nennen. Sie klagte ihn in Luzern wegen Persönlichkeitsverletzung und unlauteren Wettbewerbs (UWG) ein. Die Gerichtsinstanzen kamen alle zum Schluss, der deutsche Journalist übertreibe nicht. Novachannel focht den Entscheid an, doch auch das Bundesgericht bestätigte dieses Jahr, Journalist P. habe nicht gegen Schweizer Gesetze verstossen.
Dasselbe Umfeld dieser Szene kühlt nun sein Mütchen auch an einem Rechtsanwalt des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco. Auf einer eigens dafür errichteten Webseite versucht man, ihn zu diffamieren. Der Rechtsanwalt hat die offizielle Aufgabe, gegen diese Schwindelgeschäfte vorzugehen, denn bereits Schweizer Botschaften müssen extra vor solch dubiosen Firmen warnen.
Dokumente, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen, zeigen: Das gleiche Umfeld, das hinter der Mobbing-Webseite steckt, wurde von Novachannel unterstützt, zum Teil gleich noch von deren Boss persönlich.
© Tages-Anzeiger; 19.12.2008