Archive for December, 2007

Adressenschwindler machen erneut mobil

Monday, December 10th, 2007

Im Ausland kriegen sie Ärger, in der Schweiz verdienen sie sich eine goldene Nase. Zum dritten Mal seit 2001 suchen deutsche Adressbuchschwindler Schweizer Unternehmen heim.

Von Christian Bütikofer

Webclick wird bei Unternehmern bald für ein böses Erwachen sorgen. Die Zuger Firma verschickt derzeit «Offerten» für einen Eintrag in das Branchenregister «Online-Branchenbuch.ch». Die angefragten Unternehmer sollen die Daten prüfen, den Zettel unterschreiben und an Webclick zurückfaxen. Die Krux liegt im Kleingedruckten: Dort sind Folgekosten von über 3000 Franken für die Firmen versteckt, die mitmachen.

Varianten des verwendeten Formulars wurden von deutschen Gerichten mehrfach als irreführend taxiert. Eine Person wurde in erster Instanz wegen gewerbsmässigen Betrugs verurteilt.

Hinter Webclick steckt Herbert Kerler (39). Auch sein guter Freund und Geschäftspartner Ewald Sikler war schon mit der Zuger Intelligent Media mit irreführenden Brieflein aktiv, die 2001 mit Schwindelofferten und dubiosem SMS-Spam für Furore sorgte. Drei Jahre später doppelte er mit einer neuen Zuger Firma und Formularen nach, die in Deutschland und Österreich gerichtlich verboten worden waren.

«Ich hätte da noch ein Anliegen …»

Der gebürtige Rumäne Sikler und sein Kumpel Kerler hatten ein Problem, weil beide im deutschen Ingolstadt leben. Für ihre Schweizer Firma brauchten sie aber eine Person mit Schweizer Wohnsitz. In D. fanden sie den Strohmann. «Ich hätte da noch ein Anliegen, möchte dich um einen Gefallen bitten», wandte sich Sikler an den Beamten. Ob er nicht für 4000 Franken im Jahr als Geschäftsführer amten wolle. Die mache keine grossen Geschäfte, behauptete er keck. Wie sich zeigte, war dies eine schamlose Untertreibung. Denn mit der Zuger Inventaire Pro deckte Sikler ab 2004 die Schweiz mit Schwindelformularen in allen Landessprachen ein.

Bis heute brachten Sikler und Kerler Millionen ihrer Schwindelformulare in ganz Europa und den USA in Umlauf. Der TA ist im Besitz diverser dazu benützter Datenbanken. Für die Schweiz zählte man 380’000 Firmen.

Beispiel Belgien: Die Datenbank für das EU-Land enthielt über 800’000 Einträge. Knapp 5000 der angeschriebenen Firmen reagierten auf die «Offerte», wie eine Analyse der Daten zeigt. Alleine dort läpperten sich für Kerler so Forderungen im Wert von rund 8,6 Millionen Euro zusammen. Solch geschäftlicher Erfolg sorgte für Aufsehen. Der belgische Kleinunternehmer-Verband Unizo ist gegen Kerler zivilrechtlich vorgegangen. Mit der Folge, dass Kerler sein Treiben bis auf weiteres stoppen musste. Auf Anfrage bestätigt Gijs Kooken von Unizo zudem, dass sich der Deutsche 2009 vor einem belgischen Strafgericht wird verantworten müssen.

Ein Unternehmen aus Siklers ehemaligem Umfeld ist in Frankreich ins Visier der Gerichte gekommen und hart bestraft worden. Dort wurde Geschäftsführer S. der Firma Annuaire Pro letztes Jahr zu eineinhalb Jahren Gefängnis bedingt verurteilt und mit 200 000 Euro gebüsst, nachdem er ein deutlich milderes Urteil angefochten hatte. Zudem musste er die Kläger entschädigen. Laut der Nachrichtenagentur AFP versandte S. in Frankreich insgesamt 2,7 Millionen dieser Schwindelofferten. 16’000 Firmen fielen darauf herein, S. kassierte über 6 Millionen Euro.

Die Beispiele aus Belgien und Frankreich zeigen: Im Ausland gehen Behörden und Selbstregulierungsorganisationen immer wieder gerichtlich gegen Adressbuchschwindler vor. Ursprünglich wollte auch der Verband der seriösen Schweizer Adressbuch- und Datenbankverleger SADV in der Schweiz gegen Sikler juristisch vorgehen. Geschehen ist bisher jedoch nichts.

Der Verband, der Branchenschwergewichte wie Orell Füssli, Publimag oder die Swisscom zu seinen Mitgliedern zählt, setzte bisher nur auf Prävention. Das ist billiger. Aber geradezu eine Einladung für Abzocker, in der Schweiz Millionen zu erschleichen.

Wundersame Geldvermehrung

Ein solches Angebot nimmt Siklers Umfeld gerne an – und diversifiziert. Wenn sich Sikler und Kerler auf Offertentour begeben, bedienen sie sich jeweils handgestrickter Webseiten. Recherchen zeigen, dass dabei das Umfeld der rumänischen Firma Jem Media (Jvi Media) aus Arad eine zentrale Rolle spielt. Sie gehört zu gleichen Teilen Sikler und dem 35-jährigen Kroaten Jasmin Valentic. Mit der Firma bleiben auch die Erträge der Internetdienstleister elegant im eigenen Kreislauf.

Passwort: «0Stress4Success»

Sikler hat in seiner Karriere im Internet schon allerlei probiert. «0Stress4Success» hiess eines seiner Passwörter. Das Motto «Mit null Stress zum Erfolg» scheint sein bevorzugtes Geschäftsmodell zu sein, was eine weitere Webseite nahe legt. Der TA ist im Besitz der Dateien für die Internetseite www.zarobek-pl.com, die auf Siklers Server lagerte und heute für ein Geschäftsmodell wirbt, das einem Schneeballsystem nicht unähnlich ist.

Auf Zarobek soll man in kurzer Zeit locker 30’000 Euro verdienen – indem man «mit einem grossen Lächeln auf dem Gesicht» an eine anonyme E-Mail-Adresse mal schnell 10 Euro einzahlt. Denn: «Es ist ein Gesetz des Universums, dass wir zuerst geben müssen, um zu empfangen», steht da geschrieben.

Zarobek-Webseiten sind für das Deutsche, Englische und Polnische vorgesehen. Nachdem der TA diese Webseite abgefangen hatte, flatterten bei Sikler für genau diese drei Sprachen Dateien mit mehreren Millionen E-Mail-Adressen herein. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass Zarobek über Spam beworben wurde.

Auch von der US-Firma Eve Eagle wurde gespamt. Sikler hostete die Webseite von der Briefkastenfirma Eve Eagle aus dem amerikanischen Bundesstaat Delaware. Deren Spezialität: Massen E-Mail- und SMS-Versand sowie das Scannen von Mobilfunknetzen, um an gültige Handynummern zu gelangen. Auch das Bundesamt für Kommunikation kennt Eve Eagle. Es leitete 2004 gegen die Firma ein Nummernwiderrufsverfahren ein. Sikler und Kerler wollten sich gegenüber dem TA nicht äussern.

© Tages-Anzeiger; 10.12.2007

Für Zivilcourage hinter Gitter

Thursday, December 6th, 2007
Vor 20 Jahren mussten sie ins Gefängnis, weil sie den Militärdienst oder Zivilschutz verweigerten. Werner Bächtold und Köbi Hirzel erinnern sich – und bereuen nichts.

Von Christian Bütikofer

«Der Chor, in dem ich mitsang, kam einmal in den Gefängnishof singen. Ich bin voll gesessen, keine Halbgefangenschaft, sondern 12 Tage Einzelhaft im Winter.

Ein kleines Fenster, ein kahler Raum, durch eine Klappe in der Tür schob man mir das Essen rein. Alle privaten Dinge, auch Bücher, wurden eingezogen. In der Zelle gab es eine Bibel und die Gefängnisordnung. Alle, die drei Viertel Jahre so sitzen, sind danach psychisch verändert und nicht etwa resozialisiert, sagte mir mein Anwalt.»

Werner Bächtold war damals, im Jahr 1988, 35 Jahre alt, Reallehrer, Zivilschutzverweigerer. Er machte Militärdienst, und auch in den Zivilschutz rückte er anfangs ein.
Im Zivilschutz übte er das Überleben der atomaren Katastrophe. Nichteinrücken wurde mit Gefängnis bestraft, denn Zivilschutz, das war Landesverteidigung im Privaten.

Im «Nagelseminar» Bombe überleben

Wenn Russen und Amerikaner beim Streit über die Weltherrschaft mit ihren Bomben die Erde in eine atomare Einöde verwandeln würden, dann überlebten die Schweizer den Weltuntergang, war die Vorstellung.

Geschützt in Betonbunkern und Kajütenbetten, dafür zuständig war der Zivilschutz. Über 270 000 private und öffentliche Schutzräume wurden während des Kalten Krieges gebaut, für 95 Prozent der Bevölkerung. Werner Bächtold und seine Kameraden zersägten im Zivilschutz vor allem Holz- und Dachlatten, hämmerten Betten zusammen, um sie gleich wieder abzubrechen. Sie nannten es «Nagelseminar».

Dann kam der Super-GAU. 1986 explodierte das Atomkernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine, damals Teil der Sowjetunion. Grosse Mengen radioaktiver Materie verteilten sich im Osten. Sogar hier war die Katastrophe spürbar.

«Wir kauften Trockenfisch und tranken Trockenmilch»

Die Leute kauften Trockenmilch, im Luganersee verstrahlten die Fische. In Bern seien sie noch am Studieren, sagte man Werner Bächtold, als er wissen wollte, was man denn nun im Zivilschutz unternehme.

Nun reichte es ihm. Fortan weigerte er sich einzurücken. «Ich war nicht mehr bereit, jeden Schabernack mitzumachen. Ich habe dem Zivilschutz geschrieben, ich komme wieder, wenn sinnvolle, menschenfreundliche Einsätze möglich werden. Erst Jahre später war es so weit: Ich leistete einige Einsätze in der Betreuung von Asylbewerbern.» Werner Bächtold mochte einfach nicht mehr länger den Leuten Sand in die Augen streuen, Alibiübungen zu machen für einen Atomkrieg, vor dem man sich sowieso nur wenige Wochen im Bunker schützen konnte.

«Ohne diese Katastrophe wäre ich zum Verweigern zu bequem gewesen»

«Wenn Tschernobyl nicht gewesen wäre, wäre ich zum Verweigern zu bequem gewesen», sagt Werner Bächtold. Er war mit seiner Meinung nicht allein.

Die Zeitungsarchive der 80er-Jahre sind voll mit Meldungen über Zivilschutzverweigerer. Bächtold lernte in Schaffhausen gleich Gesinnte kennen.

Mit sechs Mitstreitern gründete er die Gruppe «Kopf aus dem Sand», eine Anspielung auf die damals lebhafte politische «Beton-Debatte», die die 80er-Jahren prägte: Über den Sinn der Zivilschutzbunker, Armeeaufrüstung und AKW-Bauten wurde gestritten. Die Gruppe verweigerte fortan den Zivilschutz und nahmen bewusst Gefängnisstrafen in Kauf. «Ich bin mir nicht sicher, ob alle verweigert hätten, wären sie alleine gewesen», sagt Bächtold. Um zu zeigen, dass sie sofort einen in ihren Augen sinnvollen Dienst leisten wollten, arbeiteten die Männer freiwillig auf einem Bauernhof.

In Uniform an Demo gegen Waffen

Zur Gruppe gehörte auch Köbi Hirzel. Er war mit Jahrgang 1949 mit Abstand der Älteste. Er wusste bereits, was Gefangenschaft heisst. Hans-Jakob Hirzel war Oberleutnant der Infanterie und leistete 667 Militärdiensttage. Er stammte aus einer gutbürgerlichen Familie im Zürcher Oberland. Als einer von zwei Nachfolgern eines alteingesessenen Handwerksbetriebes liess er sich als Möbelschreiner ausbilden. Dann kam 1981 die «Seetaler Waffenchilbi», wie er sie heute nennt. «An dieser Waffenschau wurde das Militär derart verherrlicht, es kam mir vor wie die Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau. Ich merkte in mir: Ich muss dagegen protestieren. An einer Demonstration gegen diese Militärschau lief ich dann in Uniform mit. Das passte einigen Leuten überhaupt nicht, und es gab beinahe ein Handgemenge. Ich hatte ziemlich Angst.»

Die Reaktion kam prompt. Köbi Hirzel wurde degradiert, aus der Armee ausgeschlossen und im August 1981 zu 6 Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt. Bei seinem Gerichtstermin erschienen über 100 Leute, die ihn unterstützten, sodass die Verhandlung verschoben und in einen grösseren Saal verlegt werden musste. Im Gefängnis bekam er Briefe von Fremden. «Als ich im sankt-gallischen Saxenriet hockte wegen Militärverweigerung, bekam ich plötzlich Post aus England. Wahrscheinlich hatte Amnesty International dort eine Aktion gestartet», vermutet Köbi Hirzel.

Generationenkonflikt und ohne Job

Die Konsequenzen seines Entscheids waren drastisch. Er fand lange keinen Job, mit Glück bekam er eine Stelle beim Blindenfürsorgeverein in Zürich. Sein Verhalten belastete die Beziehung zu den Eltern schwer. «Vor allem mein Vater hat die Militärdienst- und Zivilschutzverweigerung überhaupt nicht begriffen. Erst nach vielen Jahren war es dann o. k., als er sah, dass aus mir doch noch etwas Rechtes geworden ist. Eigentlich waren mein Vater und ich gar nicht so verschieden. Er hatte eine Schreinerei in Wetzikon, beschäftigte zwischen 20 und 30 Leute. Er war ein Patron nach alter Sitte: Er schaute für seine Arbeiter, die Firma sah er als Familie, wo man miteinander etwas erreicht. Das Miteinander-etwas-erreichen-Wollen habe ich von ihm. Ich wollte immer einen Dienst für die Gesellschaft leisten.»

Doch genau dies wurde den Militärdienst- und Zivilschutzverweigerern immer wieder abgesprochen. Auch im Fall der so genannten Schaffhauser Prozesse, als die Gruppe «Kopf aus dem Sand» um Werner Bächtold und Köbi Hirzel 1988 mit fünf weiteren Schaffhausern wegen Nichteinrückens in den Zivilschutz im Grossratssaal der Rathauslaube zu Strafen zwischen 12 und 20 Tagen Gefängnis verurteilt wurde.

Köbi Hirzel empfand den Zivilschutz als «militärische Institution auf ziviler Ebene». Damit drückte er aus, was der heutige Geschichtsprofessor der Universität Zürich, Jakob Tanner, 1988 in seinem Buch «Schutzraum Schweiz» so ausdrückte: Der Zivilschutz sei kein Schutz des Zivilen, sondern dessen Bedrohung, weil er alle Kritiker als Feinde diffamiere, eine gesamte Bevölkerung der «Gesamtverteidigung» unterwerfe und Denkverbote auferlege.

Als Drückeberger gebrandmarkt

Am meisten getroffen hat Köbi Hirzel und Werner Bächtold, dass sie mit ihrer Verweigerung als Parasiten verunglimpft wurden. «Es wurde immer von Dienstverweigerung gesprochen. Das hat mich immer gestört, weil damit gesagt wurde, wir würden einen Dienst an der Gemeinschaft verweigern, seien Drückeberger, wollten nur profitieren, aber nichts leisten für die Gesellschaft. Dabei stimmte das überhaupt nicht», sagt Köbi Hirzel.

Kurz nach den Schaffhauser Prozessen geschah 1989 das Unfassbare: Die Sowjetunion zerbrach, der Mauerfall in Berlin vereinte Deutschland wieder, der Kalte Krieg war vorbei, die Stimmung kippte. Als der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt für den damaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel eine Rede hielt, verglich er ihn mit Leuten wie Köbi Hirzel und Werner Bächtold. Havel sass lange Jahre wegen seiner abweichenden politischen Meinung im Gefängnis, und Dürrenmatt meinte: «Ist aber die Überzeugung gar politisch – wie es Ihre war, lieber Havel -, dann fällt in der Schweiz auf den politischen Dienstverweigerer die ganze Strenge des Gerichts, wie es auf Sie in der Tschechoslowakei fiel. So sind unsere Dienstverweigerer die schweizerischen Dissidenten.»

Als eines der letzten Länder wurde es fast zehn Jahre später 1997 auch in der Schweiz möglich, statt Militärdienst und Zivilschutz einen Zivildienst zu leisten, wie ihn Köbi Hirzel, Werner Bächtold und Tausende andere Männer seit Jahrzehnten wünschten. Beide bereuen nichts. «Für mich war der Schritt zum Neinsagen der wichtigste gewesen. Wenn man etwas machen muss, das einem so zusetzt, wird der Energieaufwand fürs Mitmachen immer grösser, sodass ein Entscheid wie der zur Verweigerung befreiend wirkt», meint Werner Bächtold.

Heute arbeitet Köbi Hirzel Teilzeit als Hausmann und Mobilitätslehrer für Sehbehinderte. Werner Bächtold ist Projektleiter der Stadt Winterthur und politisch aktiv: «Auf den gleichen Stühlen, wo ich damals in den Knast geschickt wurde, sitze ich heute im Kantonsrat von Schaffhausen.»