15. November 2006, 12:51
Spam nervt die Internetnutzer weit mehr als Computerviren. Die unterwünschten E-Mails versendet eine kleine, international vernetzte Gruppe. Auch die Schweiz hat ihre Spammer.
Von Christian Bütikofer
Sie werben für Penisverlängerungen, wertlose Aktien, Swissair-Besteck, ge fälschte Uhren, Badetücher, Medikamente, Socken oder Pornos. Die Rede ist von Spam, E-Mails, die täglich unverlangt millionenfach in die elektronischen Briefkästen der ganzen Welt geschwemmt werden. Studien wie zuletzt jene der Fundación France Télécom España belegen, dass Spam für Internetnutzer ein grösseres Problem darstellt als Virenattacken oder Kreditkartenmissbrauch im Internet.
Der viele Spam wird von wenigen Gruppen versandt
Die englische Nonprofit-Organisation Spamhaus beschäftigt sich seit 1998 mit der Bekämpfung von Spam. Über die Jahre legte sie umfangreiche Dokumentationen über die grössten Spamunternehmungen an und arbeitet heute mit dem FBI, Scotland Yard oder auch dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zusammen.
Obwohl Spam in Massen versandt wird, stecken hinter den unerwünschten Mailings vergleichsweise wenige Personen. Laut Spamhaus werden 80 Prozent des nach Europa und den USA versandten Spams von knapp 200 Spamgangs versandt; hinter diesen Unternehmen verbergen sich immer wieder die gleichen Leute.
Spammer und Hacker im selben Boot
Sicherheitsexperten stellen fest, dass Spammer immer häufiger gehackte Computer benutzen und dadurch mit Kriminellen gemeinsame Sache machen. Jens Freitag vom Antivirushersteller Sophos erläutert: «Die meisten unverlangten E-Mails stammen heute von Zombie-PCs – das sind Rechner, die gezielt mit Trojanern, Würmern oder Viren infiziert und für den Versand von Spam genutzt werden.»
Wie Zombies in einem Horrorfilm gehorchen die gehackten PCs ihrem Meister – dem Hacker – willenlos. Verfügt der Hacker über Tausende solcher PCs, spricht man von einem Botnet. Kauft ein Spammer den «Dienst» eines Botnet ein, besitzt er auf einen Schlag x Computer, über die er seinen E-Mail-Müll verschicken kann, ohne dass die Benutzer der infizierten PCs etwas davon wissen. Der Einsatz so genannter Botnets macht das Blockieren solcher Mails wird für Antispamprogramme schwieriger und gewährt den Spammern Anonymität.
Schaden in Milliardenhöhe
«In der Vergangenheit nutzten Cyberkriminelle vor allem Sicherheitslücken in Betriebssystemen aus, um Zugriff auf fremde Computer zu erhalten. Nun haben viele Firmen und PC-Anwender Sicherheits- Updates installiert, um dieses Risiko zu minimieren. Darum setzen Cyberkriminelle jetzt vermehrt auf Schadprogramme. Mit verschiedenen Tricks bringen sie Computernutzer dazu, schädlichen Code auszuführen. Damit ermöglichen sie Hackern den Zugriff auf fremde Rechner», so der Sophos-Experte Jens Freitag.
Swisscom: 15 Leute nur zur Spambekämpfung abgestellt
Das Versenden von Spam kostet die Internetprovider weltweit jährlich Milliar den. Laut Josef Frey von Swisscom gibt der grösste Schweizer Internetprovider Bluewin pro Jahr eine Summe in zweistelliger Millionenhöhe zur Spambekämpfung aus. Allein 15 Personen sind bei Bluewin extra für diese Aufgabe abgestellt. Die enormen Kosten der Internetprovider führten zu politischem Druck – mit der Teilrevision des Fernmeldegesetzes wird Spamming in der Schweiz ab 2007 zum Straftatbestand. Es ist aber zu befürchten, dass die Spammer ab dann einfach noch konsequenter ins Ausland ausweichen und die Schweiz von dort beackern.
Laut Kaspar Fopp, Mediensprecher der Winterthurer Antispamfirma Cleanmail, sind jetzt wieder Weihnachtsschmuck-Spams im Trend. Sie werden zwar aus Russland und China verschickt, auf Grund der Helvetismen in den Mails haben sie aber ihren Ursprung in der Schweiz. Pro Tag filtert Cleanmail mehrere Millionen E-Mails – davon bleiben über 90 Prozent im Spamfilter hängen.
Illustre Schweizer Spammer
Der Anteil des Spams mit Schweizer Ursprung beläuft sich laut Kaspar Fopp auf fünf bis zehn Prozent. Wie Cleanmail-Statistiken zeigen, versenden die diversen Firmen der zwei grössten Schweizer Spammer Martin Fürst und Daniel Hegetschweiler zwischen zwei und drei Spam wellen pro Woche. Gemessen am gesamten Spam schweizerischen Ursprungs kommen sie damit gemäss der Antispamfirma Cleanmail auf einen Marktanteil von 80 Prozent.
Liquidation um Liquidation um Liquidation
Der 40-jährige Daniel Hegetschweiler tummelt sich im Spam-Umfeld schon seit 1998, damals noch mit der Firma HCD Software Productions AG – in ihrem Namen wurde Spam für eine Faxsoftware versandt; die Firma befindet sich heute in Liquidation. Seine weitere Gesellschaft HCD Handels- und Finanz AG ging ebenfalls in Liquidation; dabei wurde ein Grundstück in Boniswil, das der HCD Handels- und Finanz AG gehörte, verkauft. Die in der Vergangenheit ebenfalls mit Hegetschweiler verbandelte Firma IZ Balumba Trading AG befindet sich auch in Liquidation.
Reklamationen während Monaten
Im Boot von Daniel Hegetschweiler sitzt auch die 25-jährige Dagmar Krom. Nachdem sie im Jahr 2000 ihre Matura in Wohlen abschloss, begann sie spätestens ab 2001 für Hegetschweilers Firmen zu arbeiten. Das verheiratete Paar kontrollierte bei Gründung die Firmen Starmail AG und Socks and More AG – gegen beide Gesellschaften gingen bei den Obwaldner Behörden wiederholt Anzeigen verärgerter Spam-Empfänger ein, wie Bernhard Schöni vom Verhöramt Obwalden bestätigte.
Im September 2003 kündigte eine ehemalige Revisionsstelle Hegetschweiler entnervt, weil dort «während Monaten» telefonische Reklamationen wegen Spams eingingen; der Server, auf der sich die Webseite www.socksandmore.net befindet, wurde von Unbekannten gehackt:
Daniel Hegetschweiler gab gegenüber dem TA per Fax zu verstehen, dass er sich nicht im Spam-Umfeld bewege und persönlich auch kein Spamming betreibe, sondern das Internet als legale Werbeform benutze. Die vom TA erwähnten Firmen hätten «nicht das Geringste mit Spam zu tun».
Gentests und Prozessfinanzierung
Auch der zweite bekannte Schweizer Spammer, Martin Fürst, hat eine bewegte Vergangenheit. Der HSG-Absolvent begann seine Spam-Karriere ebenfalls Ende der 90er-Jahre, heute verhökert er per Spam bevorzugt Swissair-Memorabilia. Fürst beschäftigte sich auch im Geschäft der Prozessfinanzierung. Nach kurzer Zeit war von diesem Projekt nichts mehr zu hören – die angekündigte Gründung einer Aktiengesellschaft für dieses Unterfangen fand offenbar nie statt.
Dafür sorgte Fürst im Jahr 2002 mit seiner Firma Horizon Business Corporation GmbH mit Gentests für Furore. Heute ist er zudem Verwaltungsrat der Firma Intereuro AG. Martin Fürst fiel auch durch unzimperliches Vorgehen gegen seine Kritiker auf. So wusste das Juristenmagazin Plädoyer im Jahr 2000 zu berichten, er hätte einem Kritiker geschrieben: «Hallo du kleiner Klugscheisser, nimm diesen Quatsch (Kritik an Fürst auf einer Webseite) vom Server oder ich verschicke 105’000 Mails in Deinem Namen mit recht widrigem Inhalt an die ganze Schweiz.» Martin Fürst äusserte sich gegenüber dem TA nicht.
© Tages-Anzeiger; 15.11.2006