Archive for October, 2006

Nepp im Web: «Ermittlungsverfahren läuft seit Monaten»

Monday, October 9th, 2006

Gewinnversprechen und «Gratis»-Angebote im Internet: Der Bund warnt, die Zuger Justiz untersucht.

Von Christian Bütikofer

Immer häufiger fallen Konsumenten auf vermeintliche Gratis- und Probeangebote oder Gewinnversprechen im Internet herein, die sich später als teure Abonnemente entpuppen. Die deutschen Hintermänner dieser Tricks stammen aus dem Raum Frankfurt am Main und sitzen heute mehrheitlich in Zug (TA vom 4. September); von dort beackern sie die Schweiz, Deutschland und Österreich.

Nicht nur das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) warnt nun offiziell vor diesen Geschäften, auch die Zuger Kriminalpolizei nimmt sich auf Grund zahlreicher Beschwerden des Firmengeflechts an. Petra Lehmann vom Dienst für Wirtschaftsdelikte der Kriminalpolizei Zug bestätigte, dass gegen die Firma IFK Holding AG (früher IFK Institut für Konsumforschung AG) seit Monaten ein Ermittlungsverfahren läuft.

Weitere Strafanzeige in Zug

Diese Firma wurde im Juli 2004 vom 26-jährigen Faustus Eberle gegründet. Er ist auch Verwaltungsrat der Europe Holding AG; in Frankfurt existiert ein Firmenzwilling namens Europe Media AG. Mit der Zuger Holding werden in der Schweiz neue Unternehmen gegründet, so auch die Saleshouse AG mit Robert Juric als Verwaltungsrat. Sowohl er wie auch Eberle benutzten die gleiche Zuger Wohnadresse; beide sassen im Frankfurter Firmenzwilling Europe Media.

Eine weitere durch Eberles Zuger Holding gegründete Firma, die Xentria AG, bietet auf der Webseite Sportexperten.com Wetten an. Dort wird behauptet, man sei bloss «Vermittler» der Wetten – Reto Brand vom Bundesamt für Justiz sieht das anders: «Das dürfte gegen das schweizerische Lotteriegesetz verstossen.» Er wird die Strafverfolgungsbehörden informieren.

Ein dem TA vorliegendes Dokument zeigt: Auch in Österreich interessiert sich die Polizei für die Gewinnversprechen-Masche. Dort sorgt zurzeit die Winterthurer Firma Joto Marketing GmbH des 33-jährigen Tobias S. mit Massentelefonaten für Furore – genau die gleiche Aktion zog er dieses Jahr bereits in Deutschland mit seiner Top Tel Telemarketing durch: Zur Anforderung eines «sicheren Gewinns» wird auf eine teure Mehrwertnummer verwiesen. Fordert der Konsument den Gewinn an, wird er lange an der Leitung gehalten und erfährt erst am Ende des Gesprächs einen «Gewinncode». Mit diesem Code kann er dann seinen «sicheren Gewinn» schriftlich anfordern. Wie bei Tobias S. Top Tel in Deutschland, so wurden auch seiner Joto Marketing in Österreich die Mehrwertnummern entzogen. Laut dem Winterthurer «Landboten» stellte die Polizeidirektion München in der Schweiz wegen der Top Tel ein Rechtshilfegesuch.

Tobias S. unterhielt mit einer Eberle-Firma Geschäftsbeziehungen, und wie Eberles, so reicht auch sein Radius bis nach Frankfurt: Dort ist er Geschäftsführer der Merkur Telecomservices GmbH.

Warnbroschüre des Seco: http://www.seco.admin.ch/dokumentation/publikation/00035/00038/02033/index.html?lang=de

© Tages-Anzeiger; 09.10.2006

Kripo besucht Zuger Web-Verlag

Monday, October 9th, 2006

Die Kriminalpolizei Luzern ermittelt gegen Internet-Adressbuchverlage. Jetzt weiten die Beamten nach einem Jahr ihre Untersuchung auf einen illustren Zuger Verlag aus.

Von Christian Bütikofer

Das Haus in Hünenberg ZG hat Tradition. Seit 1979 ist Intercable «ein renommierter Schweizer Verlag» mit einer «Geschichte, auf die er stolz sein darf». Am 20. Juni bereicherte er seine Firmengeschichte um ein weiteres Kapitel: Frühmorgens fuhr die Polizei vor dem roten Geschäftshaus im Hünenberger Industriequartier vor; Teams der Kripo Zug und Luzern führten bei der Intercable gemeinsam eine Aktensicherstellung durch.

Intercable gehört zum Umfeld des Hamburger Kaufmanns Meinolf Lüdenbach, gegen dessen weitere Adressbuch- und Inkassofirmen Novachannel (LU), OVAG International (LU) und Premium Recovery (ZG) die Luzerner Kripo seit einem Jahr ermittelt. Der Verdacht: unlauterer Wettbewerb im grossen Stil. Mit der Aktion in Hünenberg erweitert die Luzerner Kripo ihre Untersuchungen, die sie vor einem Jahr auf Grund einer Anzeige des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) startete.

Meist gehen die Verlage mit Formularen für Einträge in Internetadresskataloge weltweit auf Kundenfang. Im klein Gedruckten sind geschickt formuliert horrende Gebühren für mehrjährige Verträge versteckt (über 1000 Franken pro Jahr), welche die erwähnten Inkassofirmen seit den 90er-Jahren weltweit mit massivem Druck und Prozessdrohungen eintreiben.

Geführt wird Intercable heute durch Adrian Wittmer. Er gründete auch die international tätige Werbefirma WSE Media AG aus Meggen mit. Zur laufenden Untersuchung will sich Wittmer nicht äussern, er ist aber davon überzeugt, dass die erhobenen Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehren und dass dies, sollte es überhaupt dazu kommen, auch gerichtlich festgestellt würde.

Millionen erzielt – Interpol am Hals

Wie dem TA vorliegende Gerichtsdokumente aus Frankreich belegen, führte das Geschäftsgebaren von Intercable im Verbund mit Adressbuchverlegern aus Österreich bereits in der Vergangenheit zu einer gross angelegten Interpol-Untersuchung. In den Gerichtsdokumenten ist von «Betrug» und «Irreführung» zwischen 1979 und 1990 die Rede. Intercable existierte offiziell von 1975 bis 1988 nur in Hamburg, erst dann brach man im Norden die Zelte ab und emigrierte nach Zug. Adrian Wittmer sind die Vorfälle in Frankreich nicht bekannt. Er sagt: «Ich leite die Firma nun seit 1995. Von einer Interpol-Untersuchung mit Prozess in Frankreich, die über 20 Jahre her sein soll, habe ich noch nie etwas gehört.»

Laut den Dokumenten waren die Adressbuchverleger «mindestens in zwölf Ländern aktiv gewesen» und: «Im Falle von Frankreich ist die Ähnlichkeit mit den Rechnungen der PTT (später France Télécom) offensichtlich.» Gemäss den vorliegenden Akten stellten französische Gerichte fest, «dass die Telefonbücher in mehreren Fällen, in denen die Einträge hätten erscheinen sollen, entweder gar nicht oder sehr spät veröffentlicht oder in Gegenden verteilt wurden, wo das Interesse für den Besteller der Einträge nicht mehr bestand». Man liest Sätze wie: «Gewisse Telefonbücher mit gleichem Inhalt wurden im Namen verschiedener Firmen veröffentlicht.» Und weiter: Die Darstellung der Formulare bewirke «eine Irreführung des Adressaten über den Gegenstand der Leistung».

Damals gingen die Unternehmen mit offiziell aufgemachten Rechnungsformularen für Telefon- und Telefaxbücher auf Kundenfang; heute setzt man die Kosten meist ins klein Gedruckte und weicht aufs Internet aus. Intercable war eine von vielen weiteren Firmen aus Hamburg und Wien mit Ablegern in der Schweiz und Liechtenstein. Allein in Frankreich erzielte Intercable zwischen 1981 und 1983 1,8 Millionen Francs an Einzahlungen.

Nicht nur in Frankreich wurde Intercable den Strafbehörden schon früh bekannt. In einem Protokoll über eine Einvernahme vom August 1990 wird Intercable im Zusammenhang mit einem weiteren Schweizer Adressbuchverlag erwähnt: Der damals zuständige Zuger Untersuchungsrichter Thomas Hildbrand befragte eine Person «in Sachen Int-Verlag AG», wer denn für diese Firma die Bücher drucke. Antwort: Man hätte einen Publikationsvertrag mit Intercable. Der Int-Verlag kam laut einem Pressebericht von «24heures» ebenfalls in Frankreich ins Visier der Justiz, weil er ähnliche Formulare versandte.

Gefängnis, international gesucht

Nach intensiven Interpol-Ermittlungen wurden 1994 die ersten zwei Intercable-Geschäftsführer aus Hamburg wegen Betrugs zu je zwei Jahren Gefängnis und einer Busse von je 1 Million Francs verurteilt. Mit ihnen wurden vier weitere Adressbuchverleger aus Österreich zu Gefängnisstrafen bis zu vier Jahren und Geldbussen bis zu 2,5 Millionen Francs verurteilt – einige gleich mehrfach. Gegen viele dieser Geschäftsmänner existierte ein internationaler Haftbefehl.

Laut schriftlicher Auskunft der französischen Behörden appellierten nur die beiden ersten Intercable-Bosse in Frankreich und wurden 1996 aus formellen Gründen freigesprochen.

15 Jahre Genfer Geschäfte

Einer dieser Geschäftsführer war der Hamburger Dieter Bahnsen. Wie Meinolf Lüdenbach machte auch er sich Anfang der 90er-Jahre in die Schweiz auf und gründete in Genf ein neues international tätiges Adressbuchunternehmen – laut verschiedenen unabhängigen Quellen kennt man sich aus gemeinsamen geschäftlichen Hamburger-Zeiten.

In Genf gründete Dieter Bahnsen 1991 die Euco Data SA; in Spanien entstand später ein Firmenzwilling, die Euco Data España SA. Wieder wurden weltweit Firmen mit Adressbuchformularen eingedeckt. Die Methode wirkte offenbar: Für 1995 wies die Euco Data einen Bruttogewinn von über 800 000 Franken aus.

Ein ganz besonderes Verhältnis pflegte die Firma anscheinend zur Genfer Handelskammer – deren Mitglieder durften sich noch 2003 in Euco Datas «International Trade Information Directory» einschreiben. Heute treffen in der Schweiz vor allem aus Osteuropa Beschwerden über Euco Datas Geschäftsgebahren ein – genau wie bei Intercable.

Schlammschlacht im Internet

Als der TA letztes Jahr öffentlich machte, dass auch Intercable zum Kreis jener Firmen gehört, gegen welche die Kripo Luzern ermittelte, erhielt die Redaktion ein Schreiben von Intercable-Chef Wittmer. Darin wurde subtil nahe gelegt, dass eine Person aus Grossbritannien, welche die Webseite www.stopecg.org betreibt, ein gefährlicher Anarchist sein könnte und sich womöglich mit Waffen beschäftige. Stopecg wehrt sich seit Jahren auch vor Gericht erfolgreich gegen die erwähnten Firmen und hilft hereingefallenen Kleinunternehmen, sich gegen die Inkassomassnahmen zu verteidigen.

Nicht lange, und eine Webseite namens Internetvictims entstand im Internet. Motto: «Will jemand Ihren Ruf ermorden? Wir helfen! Gratis!» Für diese Seite wurde hier im renommierten Konsumentenschutzmagazin «Beobachter» und der Familienzeitschrift «Schweizer Illustrierte» Werbung geschaltet. Auf Internetvictims, die mit Intercable auf den ersten Blick nichts zu tun hat, wird versucht, den Briten in ein schiefes Licht zu rücken. Unter anderem mit jenen Andeutungen, die Intercable-Chef Wittmer dem TA schickte.

© Tages-Anzeiger; 09.10.2006