Die Internetgeschäfte eines ehemaligen «Blick»-Reporters werfen Fragen auf. Der Fall lenkt die Aufmerksamkeit auf einen undurchsichtigen Sektor der Internetwerbeszene.
Von Christian Bütikofer
Haben Sie Alkoholprobleme? Kein Erfolg beim Flirten? Wollen Sie wissen, ob Sie schon einmal gelebt haben – oder sind Sie doch lieber Filmstar in einem Porno? Wochenlang verstopften Spam-E-Mails dieser Art die elektronischen Briefkästen in der Schweiz und Deutschland. Das Schema ist immer gleich: In der Spam-Mail ist ein Link auf eines der Angebote gesetzt, z. B. www.schonmalgelebt.com. Ein Klick darauf, sofort erscheint die entsprechende Webseite – «bekannt aus Funk und Fernsehen».
Um den Dienst zu nutzen, soll nun ein Formular ausgefüllt werden, damit man endlich erfährt, ob man schon mal gelebt hat. Wie in all diesen Angeboten üblich, muss mit einem simplen Klick auf ein Kästchen bestätigt werden, dass man die «Teilnahmebedingungen» gelesen habe. Im klein Gedruckten, weit unter dem Kästchen, versteckt sich dann die Hauptsache: Der Spass kostet knapp 150 Franken.
Firmenpartner: Telefon-Missbrauch
Verantwortlich für diese Angebote ist die Alblanca GmbH aus Basel. Geschäftsführer Beat Alder (der sich heute nach dem Namen seiner Frau auch Beat Gomes Rocha nennt) behauptet: «Wir versenden kein Spam. Wir haben Affiliate-Geschäftspartner, die könnten es gewesen sein.» Er versteht die Aufregung zu seinen Angeboten nicht: «Von 2500 Anmeldungen habe ich etwa 30 echte Reklamationen.» Zum klein Gedruckten meint er: «Wenn ich heute ein Auto lease, muss ich die Bedingungen auch genau anschauen.»
Alder ist ein umtriebiger Journalist. Nach seiner Zeit beim «Blick» war er mit diversen Zeitungsprojekten beschäftigt und gründete Firmen wie die Internet Medien AG, die sich inzwischen in Liquidation befindet. Sein letztes grosses Projekt war Basels «Stadt-Zytig», die er im Streit verliess.
Ein ganz alter Kumpan Alders ist der 33-jährige Tobias S., der nicht erreichbar ist, weil er momentan «irgendwo auf einer Insel sitzt», wie Alder sagt.
Schweizer ist Mitgründer der Alblanca, laut Alder sei er «aber schon wieder draussen». Tobias S. ist auch Geschäftsführer der Top Tel Telemarketing GmbH mit Sitz in Zürich. Diese Firma fiel in der Vergangenheit wiederholt mit Massenanrufen in Deutschland auf, wo den «Kunden» Gewinnversprechen vorgesäuselt wurden.
Mehrmals entzog die deutsche Bundesnetzagentur der Top Tel wegen Rufnummernmissbrauch die dazu verwendeten Mehrwertnummern und verbot das Ausstellen von Rechnungen. Auf Grund diverser Beschwerden kündigte der Bürodienst, der für Top Tel in Zürich das Postfach verwaltete, den Vertrag auf.
Tobias S. spielt auch auf der Klaviatur der «Teilnahmebedingungen»: So führt er sein einschlägiges Können bei www.lebenserwartung.tv – «von US-Forschern getestet» – unter Beweis.
Strafanzeige wegen Internetwetten
Die Aktivitäten der Top Tel führen zum 25-jährigen Faustus Eberle, einem der im deutschen Sprachraum bekanntesten Abzocker dieser Szene. Auch hier verwahrt sich Beat Alder: «Wir haben mit ihm nichts zu tun.» Aus Frankfurt am Main stammend, liess sich der Deutsche Faustus Eberle in Zug nieder. Er zeichnete bis Ende 2005 für die Ad2media GmbH aus München. Sie sorgte mit unseriösen Internetgewinnspielen wie dem Projekt «Starquiz24» für Furore. In der Schweiz gründete Eberle die Swiss Einkaufsgemeinschaft AG. Hinter ihr findet man die gleichen Personen wie in der Ad2media.
Die Swiss Einkaufsgemeinschaft bietet auf der Webseite MioTipp.com unter dem Motto «Gemeinsam zum Fussball-Millionär» Wetten an. Trotz der Behauptung, man sei bloss «Vermittler» der Wetten, dürfte nach Auffassung von Reto Brand vom Bundesamt für Justiz dieses Angebot gegen das schweizerische Lotteriegesetz verstossen – das Amt wird die Strafverfolgungsbehörden einschalten.
Firmengeflecht in Frankfurt und Zug
Mit einer weiteren Eberle-Firma, dem IFPF Institut für Produktforschung, wurden per Telefon Personen angegangen, die «hochwertige» Produkte testen sollten – für 20 Euro pro Monat. Nicht lange, und er sorgte mit dieser Firma für Negativschlagzeilen. Die Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main (IHK) äusserte sich ebenfalls kritisch zur IFPF.
In Deutschland sass Eberle auch für die Europe Media AG im Vorstand. Bald entstand in Zug ein Firmenzwilling; er nennt sich heute Europe Holding AG. Mit ihm gründete Eberle die Xentria AG – ebenfalls in Zug. Sie macht nach dem gleichen Modell Geschäfte wie Beat Alder. Man darf sich für Ferrari-Autofahrten («Testcars – jetzt Autotester werden») oder SMS («125 SMS gratis verschicken») anmelden.
Durch die Europe Holding zeigen sich Geschäftsbeziehungen zur Top Tel von Alders Geschäftspartner Tobias S. Mit der Holding wurden in Deutschland die Firmen Mymovies Online GmbH («DVD gratis – Hol Dir jetzt Deine DVD») und auch das Inkassobüro DIS Deutsche Inkassostelle GmbH gegründet.
Diese Inkassofirma versucht heute für die Top Tel Geld bei Geneppten einzutreiben. Auf die Top Tel lauten noch immer Webseiten, für die sie früher selbst zeichnete, die heute aber offiziell der Xentria gehören.
© Tages-Anzeiger; 04.09.2006